Zhuangzi:
Das Buch der daoistischen Weisheit
übersetzt von Viktor Kalinke, Philipp Reclam jun. 2019, 456 S. geb., € 30
ISBN 978-3-15-011239-7
Davon kann man ja gar nicht genug bekommen: Schon wieder eine neue Übersetzung des »Zhuangzi«. Allerdings ist es die erste vollständige, direkt aus dem Chi- nesischen übertragene. Und es gibt sie eigentlich schon länger, nur hat jetzt der Reclam-Verlag aus dem dicken Brocken mit 900 Seiten, ausführlichen Materialen, dem Originaltext der altchinesischen Standardausgabe, der Pinyin-Umschrift, einem vollständigen Glossar mit Konkordanz zum Buch Laozi sowie zahlreichen Anmerkungen und Kommentaren – erschienen 2017 im Leipziger Literaturverlag – eine schöne, schlanke Leseausgabe mit einem feinen Nachwort gemacht.
Und hier soll es jetzt auch gar nicht darum gehen, ob Viktor Kalinke dieses oder jenes Wort richtig übersetzt hat oder ob wir noch eine Ausgabe des Zhuangzi brauchen. Ich stelle mal apodiktisch fest: Ja, wir brauchen. Denn je mehr Leser*innen sich für diese anarchistische Poesie und philosophische Tiefe begeistern, desto besser. Für die Geschichte vom nutzlosen, weil krummen Baum: »Weder Axt noch Beil setzen ihm ein frühes Ende. Nichts kann ihm Leid zufügen.« Oder für die wohl berühmteste Geschichte vom Schmetterling, der träumte, Zhuang Zhou zu sein – oder war es Zhuang Zhou, der träumte, ein Schmetterling zu sein? Das ist bis heute noch nicht abschließend geklärt. Oder meine Lieblingsgeschichte vom Koch Ding. Oder oder oder. Das sind die Geschichten aus den »Inneren Kapiteln«, von denen man annimmt, dass sie vielleicht sogar von Zhuangzi selbst sind. Aber eigentlich kann man das Buch aufschlagen, wo man will. Da entdeckt man dann die Geschichte vom Totenschädel, der Zhuangzi erklärt, wie es im Totenreich zugeht und weshalb er kein Mensch mehr sein will, oder die abstrus witzige und doch hintersinnige Geschichte von den drei Schwertern, die damit endet, dass König Wen den Palast drei Monate nicht verlässt und die Schwertkämpfer sich allesamt das Leben nehmen.
Zhuangzi war ein respektloser Spötter, ein armer Gärtner, der keinen Reichtum und keinen Ruhm wollte, ein scharfer Denker. Er lenkte auf »das Einfache hin, das eigenlich keiner Hinlenkung bedarf: die Freiheit, nichts Besonderes zu tun, die Freiheit, sich selbst zu folgen, die Freiheit, mit der Natur zu leben«, wie Viktor Kalinke in seinem Nachwort über diesen »philosophischen Agent Provocateur« schreibt. Ausführlich geht er auch auf dessen Biografie, das Verhältnis von Zhuangzi und Liezi, die Entstehung und die Wirkungsgeschicte des Buchs Zhuangzi ein. Auch auf die Aneignung der Chan-Buddhisten in der Tang-Zeit, vor allem des Kapitels über das »Fasten des Herz-Geistes«. Und natürlich geht es im Nachwort auch um die Übersetzungen im Westen, um Martin Buber, der dem Zhuangzi ein jüdisches Konzept unterschob, und um Richard Wilhelm, der den Text neu ordnete und dabei verstümmelte und manche Begriffe mit einem christlichen Hintersinn übersetzte.
Immerhin hat es seither über 100 Jahre gedauert, bis jetzt die erste vollständige Übersetzung erschien. Nehmt und lest!