TQJ 1/2020

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

Yürgen Oster (Hrsg.):
Qing Jing Jing. Das Buch der Klarheit und Stille
BoD 2019, 90 S. geb., € 19,90,
ISBN: 9783749407729

Nach der Übersetzung von Jan Silberstorff (Rezension im TQJ 1/2018) liegt diese kleine Perle aus dem daoistischen Kanon nun in einer zweiten Übertragung vor. Diesmal hat Yürgen Oster, einer der Pioniere des Taijiquan in Deutschland, Autor und Übersetzer vieler Bücher über Taijiquan und Qigong und seit vielen Jahren eng verbunden mit daoistischen Klöstern auf dem Wudangshan, diesen Text übersetzt und herausgegeben.

Da die Zuordnung zu Laozi als Autor des »Qing Jing Jing« allemal »legendär« ist, hat er, anders als Jan Silberstorff, darauf verzichtet, den berühmtesten Namen des Daoismus als Autor auf das Cover zu setzen. Diese schlicht-sachliche Herangehensweise prägt auch den sprachlichen Umgang mit dem Text. Und das ist durchaus eine eigene Qualität.

Während die Übersetzung von Jan Silberstorff eine eher poetische, irgendwie in die meditativen Erfahrungsräume hineinlauschende Qualität hat, ist Yürgen Oster so knapp und präzise wie möglich – und so wird die Sprache selbst zum Ausdruck von Klarheit. Passend zur Bedeutung des Titels »Das Buch von Klarheit und Stille«.

Den Beginn von Vers drei lesen wir bei Jan Silberstorff zum Beispiel so: »Des Menschen Geist an sich ist klar, aber Gefühle verdunkeln ihn. Des Menschen Herz an sich ist ruhig, aber die Begierde führt davon weg. Kann Begierde dauerhaft beseitigt werden, so ist das Herz von selbst still. Ist rein das Herz, so ist der Geist auf natürliche Weise klar.« Bei Yürgen Oster klingt das so: »Des Menschen Geist mag Klarheit, aber Gedanken stören ihn. Des Menschen Herz sehnt Ruhe, aber Wünsche verwirren es. Wer sein Verlangen bändigt, dessen Herz findet Ruhe. Wer seine Gedanken klärt, dessen Geist wird rein.«

In der Gestaltung ist das Büchlein von ähnlich puristischer Ästhetik: Jeder der sechs Verse wird in schlichten chinesischen Schriftzeichen auf jeweils einer Seite wiedergegeben. Dann folgt die Übersetzung, immer nur wenige Zeilen pro Seite, unterlegt von Schwarz-Weiß-Fotografien, oft in scharfen Kontrasten, wie über einen Kopierer gezogen.

Während Jan Silberstorff einen großen Anhang mit Anmerkungen zu seiner Übersetzung und allen im Text vorkommenden Schriftzeichen bot, beschränkt sich Yürgen Oster auf eine knappe einseitige Einführung zur Historie des Textes und drei Seiten Anhang. Dort erläutert er knapp, aber prägnant die zentralen Begriffe Lao Jun, Dao, De, Leere und die sechs Begierden und drei Gifte.

Er macht damit verständlich, warum dieser Text nicht nur eine wichtige daoistische Quelle ist, sondern auch ein bedeutendes Zeugnis der Verknüpfung von daoistischem und buddhistischem Gedankengut im Zusammenhang mit einer eindringlichen Anleitung zu meditativer Übungspraxis. Er verweist darauf, dass der Text in den Tempeln in der täglichen Morgenandacht rezitiert wird. Denn: »Das Qing Jing Jing lässt sich nicht durch nachdenken und sinnieren verstehen. Durch beständige Rezitation kann sein Sinn in den Verstand eindringen und die Transformation von Verlangen und Selbsttäuschung bewirken.«

Wer so praktizieren möchte, für den ist das Qing Jing Jing ein idealer Text. Welche Übersetzung ihm oder ihr dienlicher ist dabei? Beide haben ihre Qualität, es lohnt sich also, selbst zu lesen und die Wahl für die eigene Praxis zu treffen.