TQJ 03/2012

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

Yu Dan:
Konfuzius im Herzen. Alte Weisheit für die moderne Welt

Droemer 2009, Hardcover, 233 Seiten, ab 6,50 EUR
ISBN 978-3-426-27490-3

Das Buch hat ein bisschen was von »Franz Alt erklärt die Grundwerte des Christentums«. Die nicht mehr ganz jungen LeserInnen werden sich vielleicht erinnern, dass dieser in den 80er Jahren angesichts politischer und gesellschaftlicher Verfallserscheinungen versuchte, den Deutschen zu erläutern, warum die Krisen der Zeit unter Umständen am besten dadurch zu bewältigen seien, dass man sich auf die Leitlinien eines kultureigenen Wertekanons zurückbesinnt.
Ähnliches machte Anfang dieses Jahrtausends die promovierte Film- und Fernsehwissenschaftlerin Dan Yu in der Volksrepublik China, beginnend mit einer Fernsehreihe, deren Inhalt schließlich auch als Buch publiziert wurde: »Konfuzius im Herzen« wurde ein Mega-Bestseller und tut genau dies: der gegenwärtigen Bevölkerung Chinas den Wertekanon ihres traditionellen »Zentralheiligen«, so darf man wohl sagen, erneut näher bringen, indem gefragt wird, ob und wie die Kerngedanken des Konfuzianismus im heutigen Alltag hilfreich sind. Ersteres eine rhetorische Frage, versteht sich.
Das Buch wurde auch ein internationaler Erfolg, 2009 erschien es auf Deutsch (Übersetzung Johannes Fiederling) im Droemer Verlag, und Yu Dan hat sich so indirekt zu einer Kulturgesandten ihres Volkes entwickelt.
Für mich ist »Konfuzius im Herzen« in mehrerer Hinsicht interessant: Zum Einen ist es eine sehr leichtfüßige Einführung in die Gedankenwelt des Konfuzianismus. Und während in Taiji- und Qigong-Kreisen zumindest eine Grundkenntnis über den Daoismus und manchmal auch den Buddhismus vorhanden ist, führt die dritte und in gewisser Hinsicht wichtigste geis-tesgeschichtliche Strömung Chinas bei uns ein Schattendasein, so dass mit dem Begriff kaum mehr als ein paar Klischees verbunden werden wie: Bildung und Erziehung, Moral und … der Verdacht, dass der Konfuzianismus hauptsächlich zu braven Staatsdienern erzieht.
Dabei geht es sehr wohl um Erziehung, aber es werden auch Ideale formuliert, die man alles andere als engherzig finden kann. Tatsächlich kann man in den Gedanken des Kongzi so etwas wie eine chinesische Variante formulierter Menschenrechte finden – zumindest wird dargestellt, was Menschenwürde sei, und sie in jedermann zu achten gilt als eine der unbedingten Tugenden des sogenannten »Edlen« – desjenigen also, der »wahre Menschlichkeit« lebt. Diese Aspekte werden von Dan Yu gut herausgearbeitet.
Außerdem finde ich es interessant, das Buch unter dem Blickwinkel zu lesen, dass es ursprünglich für die eigenen Landsleute geschrieben wurde. Da es bei Kongzi auch immer um das Verhältnis von Staat und Bürgern (Volk) geht, taucht sofort die Frage auf: Wie hat eine Autorin der Gegenwart dies Thema bewältigt, ohne sich dabei mit einer Regierung anzulegen, die Kritik nicht eben wünscht, beziehungsweise: Wie weit wird eine »regierungstreue« Auslegung präsentiert, sei es aus Überzeugung oder um nicht anzuecken. Hier mag sich jedeR eine eigene Meinung bilden.
Ein wacher Blick lohnt sich und machte für mich die Lektüre besonders spannend. Denn natürlich ist das konfuzianische Ideal des Edlen, der die Sorge für das Allgemeinwohl über seine persönlichen Bedürfnisse stellt, etwas, was auch im Sinne einer kommunistischen Ideologie instrumentalisiert werden kann. Ich halte es durchaus für möglich, dass gerade weil die Bevölkerung Chinas über Jahrhunderte mit diesen Werten lebte, sich der Kommunismus besonders leicht und fast organisch in das chinesische Denken einfügen ließ – bis heute. Und der Verdacht, konfuzianische Ethik ließe sich gut verwenden, um zu Obrigkeitshörigkeit zu erziehen, ist eben auch nicht ganz unbegründet. Wie andere Weisheitsquellen der Menschheit lassen sich auch die Lehren des Kongzi interpretieren und für bestimmte Zwecke gebrauchen oder missbrauchen.
Insgesamt ist dieses Buch ohnedies eine sehr persönliche Auswahl aus den Grundgedanken des Kongzi, das gibt die Autorin offen zu. Dennoch ist es in seiner Leichtigkeit eine gute Lektüre, um sich mit »chinesischem Denken«, aber eben auch mit einem der zentralen Denker dieser Kultur ein wenig vertraut zu machen. Das Buch ist obendrein optisch ansprechend, die Kapitel mit Tuschemalereien in traditioneller Manier unterteilt, zentrale Sentenzen und Zusammenfassungen werden in chinesisch-rotem Druck in Kästchen hervorgehoben. Am Ende sind die Quellen der Zitate aus dem Lùny?, den Lehrreden des Kongzi, angegeben – so kann, wer mag,»beim Meister selbst« nachlesen.
Das Buch ist schon wieder aus dem Verlagssortiment herausgenommen, man bekommt es aber noch vielerorts und zumeist zu einem sehr freundlichen Preis. Deshalb: jetzt besorgen.