Martin Bödicker:
Wude. Der Kodex des chinesischen Kämpfers
Bödicker Books 2015, 52 Seiten, € 6,10,
ISBN 978-1517754273
Da kann man sich leicht vorstellen, wie es im Shaolin-Kloster zugegangen sein muss, wenn das hier zu den zehn Verboten für den Kampfkünstler zählte: „1. Den Meister betrügen (…), 3. Dummes Gerede (…), 5. Rauben und Stehlen, 6. Den eigenen Stil überheblich preisen (…), 9. Schwache ausnutzen, 10. Alkohol und Ausschweifungen.“ Gebote gab es auch, zum Beispiel „Geschlechtsverkehr ist nicht gestattet“ – wobei das ja eigentlich auch ein Verbot ist.
Der Kodex von Yip Man (Wing Chun) zielt auf ein ähnliches Verhalten, ist aber netter formuliert. So heißt es: „4. Halte deine Lust und deine Begierden gering und bewahre so die Lebenskraft.“ Interessant und nachdenkenswert ist sein Punkt 9, in dem es heißt: „Unterstütze die Mitmenschlichkeit durch das Kämpferische.“ Meister Chan Ngau Sing (Choy Lee Fut) schließt Regierungsbeamte, Verbrecher und „Menschen ohne respektablen Lebenserwerb“ vom Unterricht aus, im Chen-Stil heißt es einmal: „Suche nicht den Vergleich mit Verrückten oder Gewalttätigen“ und „Diskutiere nicht mit Ignoranten“.
Spezielle Kodizes hatten die chinesischen Kämpfer, vorgeschriebene Verhaltensweisen und moralische Forderungen an sich selbst, und der unermüdliche Martin Bödicker, Ostasienwissenschaftler und Kampfkünstler, hat mal wieder eines seiner vielen kleinen Bücher herausgegeben (sein einundzwanzigstes, wenn ich richtig gezählt habe), in dem er kurz und knapp ihre Geschichte erklärt und am Schluss einige auflistet. Martin Bödicker führt seine Leserschaft vom frühen westlichen Zhou-Reich, aus dem der früheste Kodex für Adlige bekannt ist („Mut, Standhaftigkeit, innere Kraft, Treue“), über Konfuzius, Laozi und Li Bai bis zum wohl berühmtesten Kämpfer der Neuzeit, Kwai Chang Caine, der dem Westen gezeigt hat, dass es im Wushu nicht nur ums Kämpfen, sondern auch um die persönliche Vervollkommnung geht.
Er zeigt die Entwicklung und die verschiedenen Spielarten der Kodizes, macht deutlich, wofür sie gut sein mögen in einer Gemeinschaft und welche Kritik an ihnen geübt wird. Die Veränderung der Beziehungen zwischen Meister beziehungsweise Lehrer und Schüler sind ein weiteres Thema und die Notwendigkeit, Verhaltensregeln überhaupt aufstellen zu müssen, um ein Miteinander zu ermöglichen oder die Hierarchie zu bewahren. Wie immer sind Martin Bödickers Ausführungen kurz, knapp und präzise. Wie immer greift er einen kleinen Aspekt aus der überreichen Geschichte der Kampfkünste heraus, und wie immer ist der Preis des kleinen Buchs mehr als angemessen.