TQJ  02/2012

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

 

Gerhard Seyfried:
Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer

Aufbau 2010, TB 641 Seiten, 12,95 Euro
ISBN 978-3-7466-2576-8

Die Geschichte, die wir erzählt bekommen, ist Geschichte. Sie spielt in wenigen Wochen im Jahr 1900, in den von der deutschen Marine besetzten chinesischen Provinzen und im Gesandtschaftsviertel der Hauptstadt Beijing. Erzählt wird sie uns von Gerhard Seyfried, Jahrgang 1948, der vor allem in der linken Szene berühmt wurde mit seinen Comics und Cartoons.
Wir erleben aus der Sicht von Deutschen den sogenannten Boxeraufstand in China, bei dem sich fremdenfeindlich und einer Modernisierung gegenüber ablehnend gesonnene Kräfte gegen »die Fremden«, die stark koloniales Verhalten an den Tag legten, erhoben. Der Autor hat die historischen Quellen genau studiert, bietet auch ein ausführliches Glossar und einige Literaturangaben im Anhang. So hat der Text eine hohe Authentizität, die auch in vielen wörtlichen Zitaten zum Ausdruck kommt.
Streckenweise ermüden allerdings die detaillierten Kampfberichte mit Nennung aller Beteiligten, ihrer Bewaffnung und dem militärischen Vorgehen etwas. Aber das mag die Ermüdung spiegeln, die Soldaten in einem sehr mühsamen und blutigen Hin und Her von Angriff und Verteidigung erleben, seien sie beseelt vom Glauben an das Richtige oder gebunden durch Disziplin und Pflichtgefühl.
Gerhard Seyfried erzählt die Geschichte aus Sicht mehrerer Personen: eines Kapitänleutnants zur See, der an den Kämpfen beteiligt ist, einer jungen Frau, die als Privatlehrerin eine Kaufmannsfamilie zu ihren Niederlassungen in China begleitet, eines Journalisten, der sich in dem von Aufständischen eingeschlossenen Gesandtschaftsviertel Beijings aufhält, und schließlich aus der Sicht eines sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten in Berlin. Bewusst und bis in die Sprachwahl hinein wählt der Autor den Blickwinkel der Protagonisten, spiegelt damit den allgemeinen Kenntnisstand des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seiner Weltsicht und seinen (Vor-)Urteilen gegenüber dem »Reich der Mitte«. Und: All dies ist erst gute 110 Jahre her …
»Gelber Wind« ist eine Leseempfehlung für diejenigen, die sich für die Kultur interessieren, aus der unsere Übungswege stammen, und vielleicht auch dafür, warum wir manchmal nicht verstehen, was China so »politisch treibt«. Unser Verstehen oder Nicht-Verstehen ist Teil der Geschichte, der Begegnung zwischen den Kulturen, die eine lange Vergangenheit hat. Wenn man dieses Buch liest, bekommt man eine Vorstellung, warum Deutsche, Europäer, Westler aus Sicht Chinas und im Licht seiner historischen Erfahrungen vielleicht nicht uneingeschränkt als Vorbild für den »Import von Menschenrechten« gelten können – Gerhard Seyfried macht die Geschichte indirekt so zu einem Plädoyer für Frieden und Verständigung.