TQJ 03/2002

Rezensentin:
Elvira Glück

Manfred Kubny
Qi – Lebenskraftkonzepte in China – Definition, Theorien und Grundlagen
Haug 2002,  583 Seiten, EUR 79,95
ISBN: 383047105X / 3-8304-7105-X

Ich freue mich immer wieder, wenn neben den leider oft recht oberflächlichen Büchern über Qigong und verwandte Gebiete auch anspruchsvolle Bücher nicht vom Markt verschwinden, sondern sogar wieder neu aufgelegt werden. Der Haug-Verlag hat dankenswerterweise das umfangreiche Werk von Manfred Kubny über Qi in der 2. Auflage herausgegeben. Das Buch basiert auf einer Promotionsschrift, ist daher wissenschaftlich aufgebaut und nicht ganz einfach zu lesen. Eine Einführung ist es wahrlich nicht, aber für ernsthaft Qigong- und Taiji-Praktizierende und vor allem für LehrerInnen sehr wertvoll und inspirierend.
Nachdem im westlichen Denken das Konzept einer Lebensenergie Jahrhunderte lang in den Hintergrund gedrängt wurde, ist es in den letzten Jahren sehr in Mode gekommen und demzufolge gibt es eine Flut populärer und esoterischer Literatur zu diesem Thema aus den Bereichen Körperpsychotherapie, Heilkunde, Geomantie usw. Entsprechend vielfältig und verwirrend sind die Darstellungen. Aber selbst in der klassischen chinesischen Literatur gibt es keine einheitliche Definition für den Begriff Qi, obwohl und vielleicht auch weil er der zentrale Begriff in der chinesischen Philosophie, Naturwissenschaft und der traditionellen Medizin ist. In der modernen chinesischen Literatur wird die Situation noch verwirrender durch Deutungsversuche in Anlehnung an die westliche Naturwissenschaft. Angesichts des komplexen Themas, das sich der Autor vorgenommen hat, konnte auch nur ein komplexes Buch herauskommen, das dennoch klar strukturiert ist.
Der erste Teil des Buches führt in die Problematik des Begriffes Qi ein und zeigt die Übertragungsversuche des Begriffes Qi in westliche Sprachen auf. Außerdem werden die Beschreibungen in der chinesischen Fachliteratur des 20. Jahrhunderts zum klinischen Qigong aufgeführt. Nach der Herkunfts- und Entwicklungsgeschichte des Zeichens Qi folgt eine ausführliche Darstellung der Qi-Konzepte chinesischer Philosophen und Naturwissenschaftler und der verschiedenen philosophischen Schulen in chronologischer Reihenfolge, beginnend mit der frühen Zhou-Zeit. Um die unterschiedlichen Positionen der chinesischen Lehrmeinungen zum Qi-Begriff bis in die Neuzeit zu veranschaulichen, führt der Autor viele Zitate aus historischen Quellen an, die teilweise zum ersten Mal in eine westliche Sprache übersetzt worden sind, sowie zahlreiche historische Graphiken mit Erläuterungen. Neben möglichen Klassifizierungen des Qi entsprechend den fünf Elementen, innerem und äußerem Qi oder in Bezug auf die Kultivierung stellt der Autor auch die Qi-Konzepte des Daoismus, des Buddhismus, des Konfuzianismus und der TCM gegenüber, ebenso die unterschiedlichen Methoden der sogenannten Lebenspflege. Diese Gegenüberstellung interessierte mich als Qigong-Lehrerin besonders, um die Unterschiede im daoistischen und buddhistischen Qigong besser verstehen zu können. Ausführlich vergleicht Manfred Kubny die unterschiedlichen philosophischen und religiösen Ziele und die Methoden das Qi zu bewegen sowie die jeweiligen Atemübungen und zeigt Parallelen und Unterschiede zwischen den Dantian und Chakren auf.
Der letzte Teil des Buches ist schließlich der modernen Qigong-Literatur in der Volksrepublik China gewidmet. In den letzten 50 Jahren scheint die Vielfalt der philosophischen Konzepte noch unübersichtlicher geworden zu sein, weil durch das Zusammenfügen verschiedener Elemente aus verschiedenen Schulen und Weltbildern immer wieder neue Schulen des Qigong entstanden sind, die „nur unter fragwürdigen Vorzeichen als historisch signifikant anzuerkennen sind”. Diese Situation ist aber doch nicht so ganz neu, zeigte doch bereits Shangyangzi im 13. Jahrhundert mit einer Graphik das Chaos ob der vielen Stile innerhalb der Yangsheng-Techniken mit dem Kommentar „Die Anwendung aller Schulen ist vollkommen wirr”. Allerdings hält er seine eigene Schule für die einzig geeignete …