Jan Silberstorff:
Im Anfang war das Dao. Die Bibel und das Daodejing als ökumenische Wegweiser unseres Seins oder: Wie Sinnsucher im Osten den Westen wiederfinden können
Lotus-Press 2020, 416 S. geb., € 39,95,
ISBN 978-3945430-87-3
Eines gleich vorweg: Das hat lange gedauert! Zum einen, dieses Buch in Gänze zu lesen – und sicher auch, es zu schreiben. Wir lernen gleich zu Beginn, dass der Autor, vielen ausschließlich als Experte für Taijiquan bekannt, auf drei Jahrzehnte Beschäftigung und Studium sowohl der Bibel als auch des Daodejing zurückblickt. Einigen mag sein mehrbändiger Kommentar zum Daodejing bekannt sein. Hier nun gipfeln seine Beschäftigung und seine Erfahrung in einem 400 Seiten starken Buch, ansprechend gestaltet, versehen mit vielen chinesischen Kalligraphien und optisch von außen und innen ein Hingucker – wie bereits die Bände des Daodejing-Kommentars.
In 40 Kapiteln lässt uns der Autor an seiner Reise teilhaben. Eine Reise mit vielen kleinen Haltepunkten, versehen mit einer nicht enden wollenden Anzahl von Quellenverweisen, Zitaten und Textstellen. Hier wurde gründlich gear- beitet, wurde offenbar weitreichend recherchiert und für mich war allein dieser Aspekt – die Tiefe, mit der das Thema behandelt wird – schon eine Bereicherung. Immer wieder versteht es Jan Silberstorff, teils bekannte und vielleicht auch als selbstverständlich anerkannte Stellen aus beiden behandelten Büchern in ganz neuem Licht zu zeigen. Und auch für die tägliche Praxis – sei es nun des Taijiquan oder einer anderen körperlich-geistigen Disziplin – finden sich immer wieder interessante und erhellende Aspekte.
Man kann dieses Buch von vorne bis hinten durchlesen, Kapitel für Kapitel – und wird feststellen, dass einem sicher das eine Kapitel mehr sagt als das andere. Am Ende schließt sich der Kreis. Von der Entstehung, dem Einssein bis hin zum Tod kommen alle wesentlichen Themen des Daseins zur Sprache. Genauso ist es aber eine Freude, das Buch einfach mal zur Hand zu nehmen und zu stöbern. Sich beim Blättern treiben zu lassen und an Stellen, die gerade jetzt das Interesse wecken, zu verweilen. Hilfreich dafür ist das kleine Themenverzeichnis am Ende des Buches.
Wer sich fragt, warum das etwas mit der eigenen Praxis des Taijiquan oder Qigong zu tun haben soll, findet vielleicht in einem Satz aus dem Schluss- wort einen Hinweis: »Wenn wir also in der Lage sind, uns so zu öffnen, dass die univer- sale Wirkkraft wieder frei durch uns fließen kann, sind wir auf natürliche Weise gut.« Ein Buch über die Bibel und das Daodejing und der Versuch, eine beiden innewohnende überweltliche und überkonfessionelle Wahrheit zugänglich zu machen – geschrieben von einem der führenden westlichen Taijiquan-Lehrer. Ist das ein Widerspruch? Ist das zum Scheitern verurteilt?
Zweimal nein. Jan Silberstorff gelingt es hier aus seiner über 30-jährigen Praxis und seinem Studium sowohl des Christentums als auch des Daodejing einen klaren Ansatz zu formulieren und diesen auf 400 Seiten konsequent umzusetzen. Das ist manchmal nicht einfach, öfter verwirrend, hin und wieder auch sperrig, am Ende aber immer erhellend und inspirierend. Unüberprüfte eigene Meinungen und Vorstellungen werden immer wieder hinterfragt und mit neuen Blickwinkeln versorgt, so dass der interessierte Geist einen steten Anstoß zum Nachdenken und Sinnieren, oftmals auch Reflektieren und gerne auch Meditieren hat.
Eines noch zum Schluss: Dieses Buch ist nichts für Menschen, die weder einen Sinn für die Bibel oder den christlichen Glauben haben noch für den Daoismus und das Daodejing. Wer sich aber auf frische Weise mit dem einen oder anderen Thema oder eben auch mit beiden beschäftigen mag, findet hier einen nicht enden wollenden Quell der Information, Interpretation und vor allem auch der Inspiration.