Eva Lüdi-Kong:
Schlüssel zur ›Die Reise in den Westen‹
Reclam 2019, 240 S., € 22,
ISBN 978-3-15-011225-0
629 reiste der buddhistische Mönch Xuanzang (um 602 – 664) von China nach Indien, dem Ursprungsland des Buddhismus, um Klarheit über die rechte Auslegung buddhistischer Schriften zu gewinnen. 17 Jahre später kehrte er mit zahlreichen buddhistischen Schriften in die chinesische Hauptstadt Chang’an (heute: Xi’an) zurück. Die Reise wurde zur Legende und außerdem zur Grundlage für den Roman »Die Reise in den Westen«, einem der vier klassischen Romane der chinesischen Literatur, der fast tausend Jahre später, im 16. Jahrhundert, entstand.
Zusätzlich zu ihrer wunderbaren Übersetzung der »Reise in den Westen« präsentiert Eva Lüdi-Kong jetzt auf 250 Seiten Materialien: Vorformen des Romans wie Ausschnitte aus dem Reisebericht von Xuanzang selbst, eine Xuanzang-Biographie von zwei seiner Schüler, die sie kurz nach seinem Tod geschrieben haben, oder ein Singspiel von Yang Jingxian aus dem 14. Jahrhundert. Während Xuanzangs Bericht und die Biografie noch recht sachlich blieben, auch wenn sie schon auf Legenden zurückgreifen und vor allem die Schüler die Heiligkeit ihres Lehrers immer wieder in den Mittelpunkt stellen, gewinnt danach das Phantastische nach und nach die Oberhand.
In Eva Lüdi-Kongs überreichem Materialband kann man das alles schön nachvollziehen: Es gibt Vorformen einzelner Episoden des Romans, die Erzählungen »Kaiser Taizong in der Unterwelt« und »Die im Traum vollzogene Enthauptung des Drachen vom Jing-Fluss«, es gibt schöne, witzige frühe Geschichten von göttlichen Affen, eine Legende und die Kurzgeschichte »Wie Inspektor Chen auf dem Pflaumenhügel seine Frau verlor«. Vor- und Nachworte, Essays aus dem 18. bis frühen 20. Jahrhundert und Gesamtkommentare: Liu Yimings »Leitfaden zur Lektüre der ›Reise in den Westen‹« (1778) und Wang Xiangxus »Kapitelkommentare zur ›Reise in den Westen, Buch der Erfüllung des Dao‹« von 1663.
Auch die Veränderungen des Texts kann man jetzt nachverfolgen: Wie die »Reise in den Westen« staatstreuer (denn Xuanzang war noch illegal gereist, das wurde später zurechtgebogen) und von den Geschichtenerzählern immer mehr ausgeschmückt wurde. Und wie vor allem der Affe Sun Wukong immer mehr zur Hauptfigur wurde und die Tiere eine immer größere Rolle spielten. Der Band ist eine hübsche Ergänzung zur »Reise in den Westen« und für alle, die sich etwas mehr für chinesische Literatur interessieren, unabdingbar