Martin Bödicker (Herausgeber und Übersetzer):
Ein Heim zwischen Felsen. Zen-Gedichte aus den chinesischen Bergen
Bödicker Book 2019, 68 Seiten, TB, € 8,35
ISBN 9781798851326
»Hundert Jahre alt kann
der Mensch werden,
aber wer erreicht schon die volle Zahl?
Gefährdet ist er, wie eine strohgedeckte Hütte
oder ein leckgeschlagenes Boot im Sturm.
Halbherzige Mönche sind einfach nur zu bemitleiden.
Möchtegern-Meister noch viel mehr.
Zurückgezogenheit ist das Dao der Welt. Das ist nicht neu.
In diesen Tagen schließe ich meine Tür ganz fest.«
Shiwu hieß der chinesische Chan-Mönch, von dem dieses und die anderen hier veröffentlichten Gedichte sind: Felsenheim. 1272 geboren, wurde er konfuzianisch erzogen und begann mit 20 den Buddhismus zu studieren. Bei seinem Meister Gao Feng blieb er drei Jahre, dann längere Zeit bei Meister Ji An. Er wurde Meditationslehrer im Linyin-Tempel und war damit in der Hierarchie schon ziemlich weit oben. Aber mit vierzig hatte er genug davon. Ihm war das Leben im Kloster zu hektisch, er zog für zwanzig Jahre in die Berge, er wollte seine Ruhe. 1331 beorderte der Kaiser ihn zurück, er sollte Abt des Fuyuan-Tempels werden. 1338 ging er wieder zurück in die Einsamkeit:
»Meine Hütte hab ich oben
in den Bergen errichtet.
Mit Pflügen und Hacken verbringe ich meine Tage.
Ein paar Terrassenfelder liefern mir Gemüse.
Einige wenige Einsiedler sind meine Nachbarn.
Für den Mond habe ich
einen Teich gegraben
und verkaufe Holz, um Reis zu erstehen.
Ich bin ein alter Mann ohne Pläne und das ist alles, was es zu sagen gäbe.«
Martin Bödicker ist ein fleißiger Mann, der immer wieder grundlegende Texte aus dem Chinesischen übersetzt und herausgibt, Taiji-Klassiker und philosophische Schriften, und eigene Texte über die Geschichte des Taijiquan oder über den optimalen Unterricht geschrieben hat. Auch chinesische Gedichte gibt es ab und zu, wie die »Trägen und trunkenen Verse«. Jetzt kommen 170 zwei- und vierstrophige Gedichte aus dem Chan-Bereich dazu, sie sprechen von der Flucht aus der Gesellschaft, das selbstgenügsame Leben in der Einsamkeit – oder jedenfalls etwas weiter weg von der Geschäftigkeit der Welt. Shiwu spricht von seinen Gedanken über die Leere (»Die wahre Leere ist tief, ruhig und immer da«) und erzählt von den vielen Formen. Von seiner winzigen Hütte, die nicht einmal einen Besucher aufnehmen kann, von den Mühen der Feldarbeit und seinen Altersbeschwerden, aber auch von der Schönheit der Natur, die ihn umgibt, dem Mond und den Blüten: »Der Frühlingswind öffnet die Knospen und die Blüten fallen.« Es sind manchmal melancholisch schwebende Texte, manchmal haben sie aber auch einen erfrischenden Witz:
»Ich lache die Berge aus, weil sie sich so hoch auftürmen.
Die Berge verspotten mich, weil ich so klein und dünn bin.«