TQJ 4/2017

Rezensent:
Georg Patzer

Barbara Wolf:
Kinder lernen leiblich. Praxisbuch über das Phänomen der Weltaneignung
Karl Alber 2017, 220 Seiten, 22,99 €
ISBN 978-3-495-48789-1

Engung und Weitung – das sind die beiden Schlüsselbegriffe, die die Philosophin Barbara Wolf immer wieder beschreibt, übernommen von ihrem Lehrer Hermann Schmitz, dem Begründer der »Neuen Phänomenologie«. Schlüsselbegriffe für körperliche und geistig-seelische Zustände, die ihrer Meinung nach in der Erziehung eines Kindes eine große Rolle spielen. So zum Beispiel, wenn das Kind den kompetenten Umgang mit Gefühlen lernen soll, wie Wut, die sich durch »raschen Atem, gerötetes Gesicht, angespannte Arme, geballte Fäuste und ruhelose Bewegungen« zeigt. Nach einer Benennung der Wut und einer Art von Abreagieren folgt der Übergang: »Wenn der erste Druck abgeladen ist, gelangt das Kind allmählich aus der spannungsgeladenen Engung wieder in Weitung. Der Atem wird ruhiger, die Gesichtsfarbe wieder normal, und es kann vielleicht ruhiger darüber sprechen, was passiert ist.« Und dann schwingt es mit der gelasseneren Reaktion der Eltern mit, die sich nicht haben mitreißen lassen.

Engung und Weitung – dabei denken wir natürlich sofort an Yin und Yang, Innen und Außen, Zusammenziehen und Ausdehnen. Von daher berühren sich der Ansatz von Barbara Wolf und das, was Dietlind Zimmermann, Norbert Heinrich und Hans Dieter Wöhrle im Buch »Kinder in Balance« gezeigt haben: dass Kinder immer in Bewegung sind, von einem Pol zum anderen, und es ihnen sehr hilft, wenn man ihnen zeigt, wie sie wieder in die Ruhe, in die Balance kommen können. Barbara Wolf geht von der philosophischen Seite an diesen Ausgleich heran, zeigt, wie die Kinder bei der Entwicklung von Sozialkontakten, beim Erspüren der eigenen Geschlechtlichkeit, bei alltäglichen Verrichtungen und beim Erlernen von Bewegungsabläufen im Sport (Fußball oder Reiten) vor allem »das eigenleibliche Spüren« lernen und einüben können, immer mit Vorbildern, die »sich selbst mit Freude bewegen«. Dieses Spüren ist für sie auch der Angelpunkt, damit Kinder sich selbst und ihre Umwelt wahrnehmen und lernen, mit sich und ihrer Umgebung umzugehen.

Ein wenig umständlich ist das Buch, wie viele philosophische Fachbücher, vor allem der Phänomenologie – aber das liegt in der Natur der Sache, denn hier werden die Phänomene genau beobachtet, analysiert und in ihren Zusammenhängen benannt. Immerhin ist Barbara Wolf sehr viel mehr an der Praxis der (philosophischen) Erziehung interessiert als die meisten anderen, und so kann das Buch eine schöne Ergänzung für ErzieherInnen sein, auch für Taiji- und Qigong-LehrerInnen, die mit Kindern zu tun haben.