TQJ 01/2016

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

Abdi Assadi:
Schatten auf dem Pfad. Wie uns die Suche nach Erleuchtung hinters Licht führen kann

Theseus 2015, 182 Seiten, 17,95 EUR
ISBN 978-3-89901-377-1

Es gibt einen Unterschied zwischen Psychotherapie und spiritueller Entwicklung und Begleitung – zum Beispiel durch Qigong oder Taijiquan. Eine Vermischung kann zu gefährlichen Verstrickungen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen führen – bis zu missbräuchlichen Abhängigkeitsverhältnissen (siehe auch Artikel TQJ 4/2011 und 1/2012). Wenn man unsere Übungsmethoden als spirituelle Methoden auf dem Weg nutzen möchte, stellt sich aber auch unabhängig vom Lehrer-Schüler-Verhältnis immer wieder die (selbst)kritische Frage: Nutze ich sie tatsächlich zu spiritueller Entwicklung oder missbrauche ich sie unbewusst zur Bestätigung meines Selbstbilds – eines, mit dem ich obendrein »gut dastehe« als Taiji- oder Qigong-Praktizierende.
Ungeklärte neurotische Strukturen und andere psychische Probleme werden nicht automatisch durch Sitzen auf dem Kissen oder Taiji-Üben ausgeräumt. Oder wie der Autor von »Schatten auf dem Pfad« sagen würde: Der eigene »Schatten« wird nicht zwangsläufig mit »erleuchtet« auf dem spirituellen Weg. Er kann ein schweres Hindernis darstellen. Er kann sich sogar mästen mit der vermeintlich erlösenden Kost.
Ich habe selten jemanden so Klartext zu diesem Thema sprechen hören wie Abdi Assadi. Er lebt als Akupunkteur, spiritueller Berater und Lehrer in New York. Er wuchs in Afrika, Asien und den USA auf, studierte eine Vielzahl von Heilmethoden, darunter Schamanismus, Psychotherapie und Akupunktur. Er praktizierte als junger Mann Yoga ebenso wie Kampfsport und Autorennsport. Er hat auf seiner intensiven, nicht durch kulturelle Schranken beengten Suche nach dem eigenen spirituellen Weg vieles selbst durchlebt.
Seine Arbeit während der ersten großen Welle von AIDS-Infektionen, in der er viele Menschen therapeutisch im Sterbeprozess begleitete, hat sicher zu seinem ungeschönten Blick beigetragen. Er weiß, wovon er spricht. Er führt gnadenlos alle Fallen der Selbsttäuschung vor, sei es auf Seite des Lernenden oder des Lehrenden. Und doch ist dies Buch eine hartnäckige Einladung, den eigenen Weg zu finden, in der Suche nicht nachzulassen.
Die Überschriften der Kapitel geben einen Eindruck von seiner breit gefächerten Reflexion zu diesem nicht einfachen Thema: »Wie man den Wecker nutzt, um weiterzuschlafen«, »Wenn sich Sucht als Spiritualität maskiert«, »Pfade zum Erwachen«, »Bewertung als innerer Guru«, »Guru«, »Spiritualität und die Verdrängung des Schattens«, »Der heilige Gral der romantischen Beziehung«, »Gnade kommt, sobald man sich der Hilflosigkeit ergibt«, »Kurzfristige Lösungen sind etwas für Junkies«, »Die Illusion des Glücks«, »Der Tod als Lebensberater«, »Veränderung geschieht mit Absicht«, »Das Erbe der Eltern«, »Und jetzt?«.
Abdi Assadi analysiert dabei sein eigenes Leben ebenso wie er die Geschichten verschiedener Klienten nutzt, um uns alle Varianten an Illusionen vorzuführen. Seine Sprache ist drastisch. Seine Botschaft klar: Der Weg lohnt sich. Gerade deshalb sollten wir alle Verlockungen erkennen, die uns von ihm ablenken. Und am schlimmsten sind eben die, die uns vorgaukeln: Wir sind auf dem richtigen Weg (während wir längst am Wegesrand eingedämmert sind) oder wir haben alle Probleme überwunden (dabei fliehen wir sie nur auf unseren Kissen und in unseren Dojos) oder was auch immer. Abdi Assadi stellt den Wecker neu an – und der läutet laut. Eines der wertvollsten Bücher der letzten Jahre!