Peter M. Wayne mit Mark L. Fuerst:
The Harvard Medical School Guide to Tai Chi. 12 Weeks to a Healthy Body, Strong Heart & Sharp Mind
Shambala 2013, 336 Seiten, TB, engl., 24 EUR
ISBN 978-1-59030-942-1
Anders als es der Untertitel vermuten lässt, ist dieses Werk eine wahre Fundgrube, wenn es darum geht, welche gesundheitlichen Wirkungen ein moderates Taiji-Training entfalten kann, und Gesundheit wird hier ausgesprochen umfassend verstanden. Peter Wayne ist nicht nur selbst renommierter Taiji-Lehrer mit über 30-jähriger Übungserfahrung, sondern außerdem Naturwissenschaftler, der seit langem im Rahmen der mit der Harvard Universität verbundenen medizinischen Einrichtungen den Einsatz von komplementären Verfahren wie Taijiquan wissenschaftlich begleitet. Er unterrichtet Yang-Stil Taiji in der Tradition nach Zheng Manqing, die meisten der beschriebenen Übungen, seine Vorstellungsbilder und Übungshinweise sind jedoch auch stilübergreifend einsetzbar.
Was man dem Buch vielleicht vorwerfen könnte, ist, dass die Autoren sich nicht wirklich für eine Zielgruppe entschieden haben. Der Text richtet sich an Taiji-Interessierte und macht ihnen deutlich, welchen Nutzen sie vom Taijiquan zu erwarten haben – das jedoch in einer Ausführlichkeit, die wohl die meisten am Anfang völlig überfordern würde. Vom eigentlichen Inhalt her ist es meiner Ansicht nach viel mehr für Unterrichtende geeignet, die hier sehr genau und wissenschaftlich untermauert nachlesen können, wie und warum Taijiquan die Wirkungen zeigt, die sie bei sich und anderen vermutlich schon beobachtet haben.
Um dies zu verdeutlichen, hat Peter Wayne acht »aktive Zutaten« definiert: Aufmerksamkeit, Intention/Vorstellung, strukturelle Integration (innerhalb und zwischen vielfältigen strukturellen und physiologischen Systemen), aktive Entspannung, Kräftigung und Förderung der Gelenkigkeit, natürliche, freiere Atmung, soziale Unterstützung, körperlich verankerte Spiritualität. Er weist darauf hin, dass andere Taiji-Richtungen möglicherweise andere Prinzipien in den Vordergrund stellen, und hofft, mit seinem Konzept zur allgemeinen Diskussion beizutragen. Er versteht diese »Zutaten« als systemischen Rahmen, in dem sich alle gegenseitig beeinflussen und zusammenwirken.
Im ersten Teil des Buches werden diese Aspekte des Taiji-Trainings eingehend beschrieben, darauf folgt der Praxisteil. Dem im Untertitel angekündigten Zwölf-Wochen-Programm sind allerdings grade mal 39 Seiten gewidmet, in denen ein paar Taiji-Bewegungen sowie Vorbereitungs- und Abschlussübungen vorgestellt werden.
Der zweite Teil geht dann aus wissenschaftlicher Sicht auf die wesentlichen Wirkungsbereiche verbessertes Gleichgewicht, Schmerzlinderung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atmung, geistige Klarheit sowie Wohlbefinden und Schlafqualität ein und führt zahlreiche Studien an, die diesbezüglich bereits durchgeführt worden sind (die Endnoten zu den wissenschaftlichen Quellen umfassen mehr als 50 Seiten). Dabei wird ein gutes Gleichgewicht zwischen westlicher Medizin und chinesischen Grundlagen gewahrt.
Der dritte Teil unter dem Titel »Integrating Tai Chi into Everyday Life« behandelt dann noch Partnerarbeit, die Kombination mit anderen Sportarten, Taiji in der Arbeitswelt, zur Förderung der Kreativität und Hinweise zur Gestaltung des eigenen Taiji-Lernens.
Es ist wirklich schade, dass dieses Buch (bisher?) nur auf Englisch erschienen ist, nicht nur, weil es das Lesen mühsamer macht, sondern auch, weil es genau das ist, was man gerne den zuständigen Menschen in den Krankenkassen auf den Schreibtisch legen würde, damit sie einen Eindruck von der umfassenden Wirkungsweise von Taijiquan bekommen. So schließt Peter Wayne dieses Werk mit einem Nachwort, in dem er Taijiquan als wichtigen und vielseitigen Beitrag in einem zukunftsweisenden, präventionsorientierten Gesundheitswesen positioniert.