TQJ 04/2002

Rezensentin:
Almut Schmitz

Davidine Siaw-Voon Sim/David Gaffney
Chen Style Taijiquan – The Source of Taiji Boxing

North Atlantic Books 2002, 224 Seiten PB, EUR 18,36

Endlich ist auf dem hiesigen Buchmarkt, wenn auch bisher nur in Englisch, ein Werk zum Chen-Stil Taijiquan erschienen, das sich nicht in erster Linie der Darstellung einer Bewegungsfolge widmet. Das Autorenpaar Davidine Siaw-Voon Sim und David Gaffney hat auf vielen Reisen in den Fernen Osten und bei verschiedenen berühmten Vertretern des traditionellen Chen-Stils Material gesammelt zu ihrem umfassenden Buch über die Entstehung und die Grundlagen des ältesten Taijiquan-Stils, aus dem die anderen großen Familienstile hervorgegangen sind. Sie haben unter anderem bei drei der offiziellen Linienhalter Chen Xiaowang, Zhu Tiancai und Chen Zhenglei gelernt, die auch darüber hinaus beispielsweise durch historisches Quellenmaterial zur Entstehung dieses Werks beigetragen haben. Insofern enthält das Buch auch für diejenigen unerwartete Passagen, die bereits längere Zeit bei einem dieser Hauptvertreter lernen.
Neben der historischen und der neuzeitlichen Entwicklung des Taijiquan werden die philosophischen Bezüge zur Yin/Yang-Theorie, zum Daoismus, den acht Trigrammen und den fünf Wandlungsphasen dargestellt sowie die Bedeutung von Qi und der Dynamik des Chansijing, der spiraligen Kraft, die mit dem Abwickeln des Seidenfadens vom Kokon verglichen wird und die eine zentrale Rolle im Training spielt. Die fünf Entwicklungsstufen beim Lernen, wichtige Akupunkturpunkte und die wesentlichen Aspekte der Körperhaltung und –bewegung werden ebenfalls eingehend behandelt. Dabei verknüpfen Davidine Siaw-Voon Sim und David Gaffney stets Theorie und Praxis, so dass die Relevanz für das eigene Üben deutlich wird. Auch in dem anschließenden Abschnitt über die Trainingsmethoden, der den Wuji-Stand, die Seidenübungen, die Handformen, Stand- und Schritttechniken, Fajing- und Hebeltechniken sowie Übungstechniken mit verschiedenen Geräten beinhaltet, greifen die beiden immer wieder auf klassische Schriften der Chen-Familientradition zurück, insbesondere das Werk von Chen Xin (1849 – 1929), der als erster in langjähriger Arbeit die Grundlagen des Chen-Taijiquan schriftlich und graphisch festgehalten hat. Leider sind von diesem tiefgreifenden Werk bisher nur einzelne Passagen ins Englische übersetzt worden.
Ein eigener Abschnitt widmet sich den Grundtechniken und Übungsformen des Tuishou, ein weiterer den Waffenformen. Die traditionellen Hand- und Einzelwaffenformen sind alle in ihrem Ablauf mit englischen Bezeichnungen der Figuren aufgeführt. Allerdings sind die Übersetzungen der Namen recht oberflächlich und den im Englischen üblichen, teilweise aus dem Yang-Stil übernommenen angepasst, wobei auch Übersetzungsfehler übernommen wurden. In diesem Punkt hätte ich mir größere Sorgfalt gewünscht, auch eine Übersetzung der Erläuterungen zu den Graphiken aus Chen Xins »Illustrierten Erklärungen des Chen-Familien Taijiquan« wären schön gewesen.
Der letzte Abschnitt des Buches enthält einige berühmte Geschichten aus der Chen-Familie sowie deren überlieferten Ehrenkodex, der strenge Charaktereigenschaften und Verhaltensregeln vorgibt, die sowohl für die spirituelle Entwicklung als auch die der kämpferischen Fähigkeiten als entscheidend angesehen werden.
Insgesamt ist dieses Buch ein wertvolles Grundlagenwerk für alle, die Chen-Taijiquan praktizieren, aber auch Übende anderer Stile können darin viele Aspekte finden, die ihr Verständnis des Taijiquan vertiefen.