TQJ 02/2003

Rezensent:
Walter Dauer

Martin Schmid
Taiji – die innere Kraft von Himmel und Erde

Param Verlag 2002, 158 Seiten, EUR 18,80

Der Züricher Taiji-Lehrer Martin Schmid schreibt von seinem aktuellen Buch, es sei organisch gewachsen, und fordert uns auf, es nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Körper zu lesen. Auf 158 mit großem Zeilenabstand gedruckten, dem Lesen zwischen den Zeilen also genug Raum bietenden Seiten unternimmt er den Versuch „nichtlineare, holistisch vernetzte Zusammenhänge in ein lineares System, wie es unsere Sprache darstellt, zu quetschen“.
„Taiji – die innere Kraft von Himmel und Erde“ beginnt mit Assoziationen zu den Zeichnungen eines Pinselstrichs, eines Kreises und deren Synthese, einer Spirale. Yin und Yang, Wuji und Taiji werden so eingeführt, wobei die Zweiphasigkeit des Taiji-Symbols betont wird als sowohl ausdehnendes, „kre-a(k)tives“, als auch sammelndes und dadurch Integration und Lernen ermöglichendes Prinzip. Erst die Integration schaffe die Basis für eine neue Expansion und somit schöpfe derjenige, der Taiji in einem geschlossenen Kreis oder einer geschlossenen Form praktiziere, das Potential jenes „universellen, interkulturellen Symbols“ nicht aus. Freilich, auch der Autor lehrt die „Form“, aber nur als „erfülltes Ritual“ bringe sie den Übenden zur Erkenntnis und in die Verantwortung, Hüter eines Schatzes, einer jahrhundertealten Linie des Bewusstseins zu sein.
Martin Schmids Buch ist kein an eine bestimmte Form oder einen Stil gebundenes Lehrbuch und auch kein artifizielles Esoterik-Pamphlet. Es bietet mit Geduld – die Inhalte entwickeln sich langsam – und (Lese-)Sorgfalt – auf manche „Weisheitsperle“ stößt man eher beiläufig – sowie einer gewissen Praxis ausgestatteten Taiji-Übenden ein Kondensat an Erfahrungen. In den Kapiteln zu sechs sich wie eine Pyramide aufeinander aufbauenden Qualitäten des Taiji finden sich beim aufmerksamen Lesen viele Anregungen, Hinweise und Impulse zur Weiterentwicklung des eigenen Übungsweges. Insofern ist es auch ein Basislehrbuch, so zum Beispiel in dem Kapitel über die „physische Qualität“, das gut die Struktur und Funktion der einzelnen Körperteile zusammenträgt.
Der umfangreichste Abschnitt des Werkes über die „Qualität der Interaktion“ beschäftigt sich mit dem Tuishou und den zahlreichen Vorteilen, die dieses „Bio-Feedback-System“ bietet. Und wieder geht es dabei um Integration: „Was wir integriert haben, kann uns nicht mehr verletzen.“ Dieses Kapitel mit seinen herzlich-poetisch klingenden Aussagen ist für mich der Höhepunkt des Werkes, denn seine Botschaften sind beileibe nicht weltverklärt, sondern sehr praxisbezogen und spirituell zugleich.
Darin liegt eine der Stärken dieses „anderen“ Taiji-Buches, dem der Autor zwar ein nicht-intellektuelles Studium wünscht, dessen Lektüre aber Freude am sprachlich-nuancierten (Mit-)Denken braucht (und nährt): Wenn seine Aussagen nicht nur philosophisch-poetisch verstanden, sondern vielmehr in „körperliche Erfahrung“ umgesetzt werden und so zu einer tiefen Empfindungsebene führen, gibt es keine Trennung mehr zwischen Angreifer und Verteidiger, Außen und Innen, Yang und Yin und es entsteht Transzendenz.
Kurzum: ein sich langsam entfaltendes Kontakt- und Vernetzungsbuch, nicht nur für feinsinnige Kampfkunst-Adepten auf dem Weg zum „heilenden Krieger“.