TQJ 01/2003

Rezensent:
Frank Aichlseder

Stuart Olsen (Hrsg.)
Das Qi pflegen – Die geheimen Trainingsdokumente der Familie Yang nach Chen Gong
Aurum Verlag 2000, 200 Seiten geb., EUR 17,50 / SFR 29,90

ISBN 3-591-08470-0

Das Wesen des Taiji-Quan – Die geheimen Trainingsdokumente der Familie Yang nach Chen Gong, Teil 2
Aurum Verlag 2002, 220 Seiten geb., EUR 18,50 / SFR 31,50

ISBN 3-89901-003-5

Bücher über Taijiquan gibt es so viele wie unterschiedliche Ansichten über Taijiquan. Doch hin und wieder tauchen welche auf, die einen Platz in der eigenen Bibliothek auf den vorderen, gut zugänglichen Plätzen verdient haben.
Der Titel »Das Qi pflegen« lässt im ersten Moment an ein weiteres Buch über Qigong denken. Der Zusatz »Die geheimen Trainingsdokumente der Familie Yang« belehrt einen aber eines Besseren. Dass die Dokumente tatsächlich sehr geheim waren, zeigt die Geschichte, wie sie dann doch ans Licht kamen. Ein Schüler Yang Chengfus namens Chen Yan Lin – westlichen Lesern vielleicht auch unter dem Namen Yearning K. Chen bekannt – lieh sich das Buch eine Nacht aus unter dem Vorwand, seine Studien vertiefen zu wollen. Yang Chengfu war sich sicher, dass niemand in der Lage wäre, das Buch in einer Nacht zu lesen, geschweige denn zu verstehen. Und er rechnete schon gar nicht damit, dass Chen Yan Lin sieben Schreiber engagiert hatte, um das Buch zu kopieren und es dann unter dem Namen Chen Gong als eigenes Werk auf den Markt zu bringen. – So wurde die Geschichte von Yang Chengfu an seinen Schüler Zheng Manqing weitergegeben, der sie wiederum Liang Dong Zai (T. T. Liang) erzählte. Und dieser schließlich gab sie weiter an seinen langjährigen Schüler und Wegbegleiter Stuart Olsen, der den Text im Auftrag von T. T. Liang aus dem Chinesischen ins Englische übertrug. Von diesem Werk sind mittlerweile zwei Bände ins Deutsche übersetzt worden.
Der erste Band ist in sechs Kapitel unterteilt, die sich mit Taijiquan und Yangsheng, Yi und Qi, inneren Atemmethoden zur Aktivierung des Qi, Taijiquan und chinesischer Meditation sowie mit Taiji Qigong, elementaren Übungen zur Stärkung und Aktivierung des Qi sowie zusätzlichen Grundübungen beschäftigen. Die Übungen dieses Taiji Qigong – nicht zu verwechseln mit den weithin bekannten Übungsreihen aus dem »modernen« Qigong – bilden zweifelsohne den Kern dieses Bandes. Der Herausgeber hat hier die im Original verwendeten Zeichnungen durch Fotos von sich ersetzt, die mit modernen Mitteln der Fotografie den Bewegungsablauf verdeutlichen.
Obwohl die einzelnen Kapitel eher knapp gehalten sind, ist der Informationsgehalt des Buches durchaus hoch und man spürt die Weisheit und Einsicht der alten Meister.

Der zweite Band der geheimen Trainingsdokumente der Familie Yang ist im Grunde eine kleine Sensation, da hier erstmals die wesentlichen Energien – Jin (Jing) – des Yang-Stil Taijiquan detailliert aufgelistet, erklärt und kommentiert werden. Das Buch zählt 39 verschiedene Energien auf, die der Taiji-Übende im fortgeschrittenen Stadium seiner Praxis mit zunehmender Sensibilität erspüren können und zur Selbstverteidigung einsetzen soll.
Die in diesem Buch präsentierte Materie übersteigt bei weitem meine Erfahrung im Taijiquan und entzieht sich somit einer Bewertung. Nur soviel: Dem Autor nach werden die wesentlichen Energien denen verborgen bleiben, die sich ausschließlich mit der Solo-Form beschäftigen, da sie hauptsächlich in Partnerübungen erlernt werden können. Das Verständnis der wesentlichen Energien sei Voraussetzung für ein tiefgreifendes Erfahren des Taijiquan.
Der Umstand, dass der Herausgeber seine Übersetzungsarbeit mit Hilfe von T. T. Liang machte, führte dazu, dass die Energien gegenüber dem Original neu geordnet wurden. Zudem hat Stuart Olsen einige Abschnitte mit Fotoserien versehen, die Übungen zur Kultivierung der jeweiligen Energien zeigen. Dadurch gewinnt das Buch an praktischem Wert. Außerdem fügte er dem Originaltext Kommentare hinzu, die auf zurückhaltende Art der Klärung mancher Sachverhalte und Bedeutungen dienen und den Textfluss des Originals nicht stören.
Ein Wermutstropfen ist, dass nie ganz klar wird, welcher Teil des Textes nun zum Original gehört, welcher von Chen Gong ergänzt wurde und, auf Grund des unglücklichen Layouts, welcher Teil Kommentar des Herausgebers ist. Hier hätte der Verlag etwas mehr Sorgfalt walten lassen können, um zumindest die Kommentare durchgehend optisch vom Originaltext zu trennen.
Auf alle Fälle dürfen wir gespannt sein, was die nächsten Bände ans Tageslicht bringen.