Petra Kobayashi:
T‘ai Chi Ch‘uan & Die 8 Richtungen. Auf der Suche nach den Anfängen
Amazon 2013, 236 Seiten, TB, 26,50 EUR, ISBN 978-3-00-042365-9
Dass nur wenige Taiji-AutorInnen sich trauen, auch über die inneren Prinzipien des Taijiquan zu schreiben, über die Energieverläufe, über das, was in einem passieren kann, liegt zum einen daran, dass man manches kaum ausdrücken, kaum jemandem verständlich machen kann, der es nicht selbst an sich und in sich erfahren hat. Da werden die Wörter schnell schwammig und vage. Zum anderen daran, dass man solche Erfahrungen auch nicht lehren kann, indem man darüber schreibt.
Dass Petra Kobayashi es dennoch versucht, ist ihr hoch anzurechnen. In ihrem neusten Buch erzählt sie von einigen Erfahrungen, die sie während ihres Taijiquan-Studiums machte: von den acht Richtungen, die sie in einem Zustand erlebte, »in dem die Wahrnehmung des Körperlichen aufgehoben war«. Sie sah Energiebahnen, die mehrere Zentimeter breit waren. Das wahrgenommene Gebilde setzte sich aus vier Hauptrichtungen und vier Zwischenrichtungen (Diagonalen) zusammen. »Ich war in diese Bahnen eingebunden, ohne dass ich hätte definieren können, wie und wo sie sich in mir trafen.« Und sie begriff, »dass ich mich konstant im Zusammenhang mit den um mich herum befindlichen Bahnen bewegte«. Ihre Schlussfolgerung: »Offenbar lag Wissen von den 8 Richtungen dem Aufbau der Formen zugrunde.« Sie spürte eine Zentrierung oder Bündelung, eine Art »Eingebundensein in das Ganze« und lernte ein »Richten der Energie«. Später machte sie weitere ungewöhnliche Erfahrungen, spürte einen »Beinbogen« und einen »Armbogen«, eine Mitte, die sich zu einer »Rotunde« schloss, – alles energetische Ereignisse, die sie so im Unterricht ihrer Lehrer bisher nicht vermittelt bekommen hatte.
Jetzt, mehr als zehn Jahre nach diesen Schlüsselerlebnissen, hat sie versucht, sie in einem Buch darzulegen, und ist leider mehr oder weniger gescheitert. Nicht nur, weil sich energetische Erlebnisse einfach nicht adäquat in Worte fassen lassen. Zwar gibt Petra Kobayashi wichtige Hinweise, die der aufgreifen kann, der selbst ähnliche Erlebnisse schon gehabt hat, – die Frage ist aber, ob der das noch braucht. Andererseits ist sie an vielen Stellen so ungenau, dass zum Beispiel jemand, der ihren Stil (Zheng Manqing) oder die Übungen, die sie vorschlägt, nicht kennt, ein wenig hilflos zurückbleibt, so schlecht sind gerade die Übungen erklärt. Petra Kobayashi hat zudem häufig eine Tendenz zu Verallgemeinerungen und Redundanzen. Einmal versteigt sie sich in ein obskures Zahlenspiel, mit dem sie eigentlich nur beweist, dass häufiges und ausdauerndes Taiji gut für die Gelenke ist.
Zudem kommen sehr oft vage Formulierungen bei ihr vor, »man kann davon ausgehen«, »es liegt nahe, dass«, »es ist anzunehmen«. Natürlich kann sie »das Feinstoffliche« oder »die Energie« auch nicht erklären, das verlangt ja auch niemand von ihr. Aber manche Behauptungen wie die, dass die Selbstverteidigungstechniken im Taijiquan »für viele Übende ein Hauptgrund dafür [sind], es ausschließlich als Kunst der Selbstverteidigung zu verstehen«, oder die, dass die »Betonung von Wurzeln und Sinken (…) die Füße im Ganzen (…) unnötig belastet«, wodurch sie Schaden nähmen, sind schon erstaunlich. Und auch viele Schlüsse, die sie aus solchen Behauptungen zieht. Manche Sätze, vor allem aus dem zweiten Teil, sind nicht mehr als umständlich geschriebene Plattitüden: »Setzt man sich mit T‘ai Chi auseinander, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es alles berührt, was den Menschen in seiner Existenz und in seinem Eingebundensein in das Leben und Sein ausmacht.«
Und das ist schade, denn einige ihrer Gedanken und Erfahrungen, ihre Begegnungen mit der Energie als eigentlicher Grundlage der Taijiquan-Form sind es wirklich wert, weiter erforscht und verfolgt zu werden. Damit könnte man weiter in den Bereich der »Meditation in Bewegung« vordringen, den Energiefluss pflegen, die innere Struktur und die Persönlichkeit weiterentwickeln