TQJ 1/2013

Rezensentin:
Almut Schmitz

Kinthissa:
Turning Silk – A Diary of Chen Taiji Practice, the Quan of Change

Lunival 2009, 215 Seiten, Pb, engl., 24,99 EUR
ISBN 978-0-9562846-0-0

Ein Tagebuch der eigenen Taiji-Praxis zu veröffentlichen mag ein wenig exzentrisch erscheinen. Um ein Tagebuch im engeren Sinn handelt es sich hier allerdings auch nicht, Kinthissa nutzt ihre tägliche Taiji-Praxis über ein halbes Jahr, um ihre Erfahrungen mit dieser Kunst seit 1976 zusammenzufassen. Sie begann mit Yang-Taiji bei Gerda Geddes in London, durch die sie lernte, sich mit ihrem Körper anzufreunden, bevor sie 1989 auf Chen Xiaowang traf und ihr Training ganz auf Chen-Stil umstellte. Hier tat sich ihr eine neue Welt innerer Arbeit auf, die sie zutiefst faszinierte und auf einen lebenslangen Weg stetiger Veränderungen brachte.

Auf diesem Weg geht es darum, durch beständiges aufmerksames Üben das Dantian als Zentrum jedweder Bewegung zu entwickeln, die Kraft aufzubauen, die nötig ist, damit der Körper sich durchlässig und entspannt bewegen und Qi frei zirkulieren kann, eine immer größere Verbundenheit im Körper herzustellen und sich so allmählich immer mehr einem vollkommen natürlichen Zustand in Übereinstimmung mit dem Dao anzunähern. Manche werden denken, dass das doch allgemein für das Taijiquan gälte, – wer »Turning Silk« liest, bekommt eine Idee davon, wo der Unterschied liegt zwischen der Vorstellung, man sei auf diesem Weg, und dem tatsächlichen Beschreiten.

Kinthissa, die aus Birma stammt, lange in England gewohnt hat und seit etwa zwanzig Jahren die meiste Zeit in einem abgeschiedenen Tal in Norditalien lebt, beschreibt die wesentlichen Trainingsinhalte, über die dieser Weg führt: Zhan-zhuang (Stehende Säule), Chansigong (die sogenannten Seidenübungen, das Qigong des Chen-Taijiquan) und die Formen des alten und des neuen Rahmens. Sie geht hierbei von einer anderen Perspektive aus, als sie sonst in der Literatur zu finden ist: Es geht nicht um eine Anleitung, sondern um eine genaue Darstellung der inneren Abläufe, des inneren Erlebens, der ständigen Herausforderungen.

Sie schreibt nicht aus einer Position, die schon alles weiß, sondern zeigt uns, wie sie sich von Beginn an bemüht, »der Wahrheit« körperlich näher zu kommen. Das spiegelt sich auch in den zahlreichen Fotos, die keine perfekten Positionen zeigen, sondern häufig gerade Unzulänglichkeiten illustrieren, teilweise während sie von Chen Xiaowang behoben werden. Dadurch werden ihre Beschreibungen des Übungsprozesses gut nachvollziehbar. Viele Bilder stammen aus Filmaufnahmen und zeigen Bewegungssequenzen, wodurch die subtilen Veränderungen in den Bewegungen gut sichtbar werden.

Kinthissa hat das Privileg, immer wieder sehr intensiv privat von Chen Xiaowang unterrichtet worden zu sein, und ist so wie nur wenige in den Genuss sehr detaillierter Korrekturen gekommen, die sie immer feiner ausgerichtet haben. Diese Korrekturen, in denen es stets um eine individuelle Optimierung der aktuellen Haltung oder Bewegung geht, sind von außen her kaum zu verstehen. Hier finden wir anschaulich beschrieben, welche tief gehenden Veränderungen kleinste Berührungen bewirken können, aber auch viele hilfreiche Hinweise für das eigene Training.

Neben ihren Ausführungen zum Taiji-Training, die geprägt sind von außerordentlicher Achtung und Zuneigung für die beiden Menschen, denen sie ihre Kenntnisse verdankt, lässt uns Kinthissa teilhaben an ihrer großen Verbundenheit mit ihrer Umgebung, der Landschaft, den Tieren und Pflanzen, die sich im Rhythmus der Jahreszeiten verändern, wachsen, fortpflanzen und mit ihren natürlichen Fähigkeiten auch ihr Verständnis vom Taiji bereichern.

Dieses Buch ist nicht für Menschen gedacht, die einfach ein bisschen Taiji spielen wollen, um sich wohler zu fühlen in ihrem Leben. Diejenigen jedoch, die im Taijiquan einen Lebensweg sehen, auf dem sie möglichst viel lernen möchten, und über ausreichende Englischkenntnisse verfügen, können von der profunden Erfahrung und Offenheit der Autorin viel profitieren, nicht nur, wenn sie im Chen-Stil unterwegs sind. Sie können erfahren, was nötig ist, damit Qi, der »vitale Atem der Natur«, wie Kinthissa es nennt, tatsächlich den Körper durchströmen kann, und dass es immer wieder feiner Ausrichtungen von einer sehr kompetenten und hilfsbereiten Lehrkraft bedarf, um die eigenen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.