Jan Silberstorff (Hrsg.):
Chen Fake. Die verschollene und wiederentdeckte Biografie des großen Taiji-Meisters
Lotus Press 2021, 197 S. geb., € 22,95, ISBN 978-3-945430-98-9
Chen Fake (1887 – 1957) war einer der bedeutendsten Vertreter des Taijiquan des letzten Jahrhunderts und wesentlich dafür verantwortlich, dass die Tradition der Chen-Familie auch in Beijing bekannt wurde. Seine außerordentlichen Kampfkunstfähigkeiten bewies er nicht nur in vielen Herausforderungen, sondern auch im Kampf gegen gefährliche Kriminelle. Die hier erstmals veröffentlichte Biografie hat selbst eine bewegte Geschichte hinter sich – sie wurde Jan Silberstorffvor 30 Jahren von einem ehemaligen Dorflehrer in Chenjiagou übergeben, der einige Zeit mit Chen Fake in Beijing zusammengewohnt hatte. Der Herausgeber beschreibt in seiner Einleitung, wie dieses handschriftliche Dokument, dass weder er noch andere, die er darauf ansprach, lesen konnten, immer wieder verschwand und in Vergessenheit geriet, bis er mit Wang Ning endlich jemanden fand, der die altertümliche Schrift lesen und übersetzen konnte. Letztlich ungeklärt bleibt dabei, ob sie, zumindest in Teilen, ursprünglich von Chen Fake selbst geschrieben wurde oder nach dessen Erzählungen von dem Lehrer.
Auf jeden Fall lesen wir hier keine klassische »Meister-Biographie«, sondern eher Anekdoten aus dem Leben eines Menschen, der in den Wirren der Zeit stets bemüht war, rechtschaffen, bescheiden und aufrichtig zu bleiben. Und das war offenbar eine schwierige Aufgabe während der von innenpolitischen Kämpfen und Kriegen vor allem gegen Japan geprägten Umbruchszeit vor der Mitte des 20. Jahrhunderts in Beijing. So erfahren wir mehr über Chen Fakes innere Konflikte und Ambitionen als über die konkreten Stationen seines Lebens. Jan Silberstorff hat mit einer Einführung und seinen Nachbetrachtungen einen historischen Rahmen ergänzt, durch den die erwähnten Begebenheiten etwas eingeordnet werden können und das Bild dieser herausragenden Taiji-Persönlichkeit ergänzt wird.
Verzichten muss man leider weitgehend auf Ausführungen über das Taijiquan selbst genauso wie über Chen Fakes Austausch mit anderen Kampfkunstexperten, insbesondere über seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Xinyiquan-Meister Hu Yaozhen. Etwas befremdlich war für mich auch, dass Chen Fakes Familie kaum Erwähnung findet. Der ursprüngliche Text ist allerdings beispielhaft für den in der Chen-Familie tradierten anspruchsvollen Verhaltenskodex.
Zusätzlich umfasst dieser schön gestaltete Band einen Abdruck der Originalschrift sowie die vollständige Folge von über 200 Fotos von Chen Fake mit der ersten Form des auf ihn zurückgehenden »Neuen Rahmens« des Chen-Stil Taijiquan. Als einzigartiges Dokument bietet der überlieferte Text Einblick in eine schwierige Phase der Geschichte des Taijiquan, bevor es weltweite Bekanntheit erlangte, unabhängig von Stilzugehörigkeiten.