TQJ 04/2013

Rezensent:
Georg Patzer

Jan Bollwerk:
Boden finden. Wege zu neuer Führungskompetenz

Milchberg 2012, 160 S., geb., EUR 22,90, als Kindle Version EUR 14,99
ISBN 978-3981284515

Eigentlich ist der Hype um Managementbücher, die mit Philosophie aus dem Fernen Osten (oder was sie dafür halten) jonglieren, längst vorbei. Kaizen, die fünf Ringe … Hat das etwas genützt? Auch Jan Bollwerks Ideen kommen nicht aus der westlich-christlich-kapitalistischen Geschichte, aber das Gute daran ist, dass man es nicht merkt. Denn anders als die meisten Anbeter östlichen Gedankenguts geht er nicht damit hausieren, wirft nicht mit japanischen oder chinesischen Begriffen um sich. Nur wer es weiß oder es in der Biografie gelesen hat, wird es merken. Oder wer über Manches stolpert, was er so noch nie in einem Buch über »Wege zu neuer Führungskompetenz« gelesen hat, und dann nachdenkt, wie Bollwerk wohl auf so etwas kommt.

Zum Beispiel: »die Bewegung von innen nach außen« – sein erster Grundsatz für seinen neuen Ansatz. Nicht nur, wie in seinem Beispiel, die körperliche Bewegung eines Hundes: »Wenn das Tier rennt, holt es die Kraft zum Strecken und Sichzusammenziehen aus dem Körper, aus seiner Körpermitte. Die Kraft setzt sich in die Gliedmaßen fort, bis in die Pfoten, und treibt den Hund nach vorn.« Auch beim Finden von Entscheidungen: »In unserem Innern wird ein Gedanke angestoßen.« Eine Zeit der Unsicherheit, die die wichtigste Zeit der Kreativität ist, eine Zeit der Analyse, danach kommt die Entscheidung. Der Punkt vorher ist aber wichtig, Bollwerk nennt ihn den »Stress-Punkt«, den man nicht wegschieben soll, nicht wegdelegieren: »Viele Menschen haben den Satz verinnerlicht: ›Ich will keine Probleme, ich will Lösungen.‹ Schaut man genau hin, entdeckt man, dass dies bereits ein Teil des Problems ist.«

Und was tut man mit den Schwachstellen? Jan Bollwerks Antwort: »Nichts. Wir sollen tatsächlich zunächst nicht handeln. Wir bleiben – innerlich und äußerlich! – stehen und betrachten den Stress-Punkt. Ganz in Ruhe. Dabei beobachten wir, was alles in unserem Innern auftaucht.« Dabei weiß er: »Das Stehenbleiben an der (…) Nahtstelle ist schwierig. (…) Es fehlt uns meistens die Geduld, die Dinge so lange zu betrachten und innerlich wahrzunehmen, bis wir sicher wissen: Jetzt kann und muss ich meinen Schritt tun, jetzt kann und muss ich handeln.« Etwas später schreibt er, dass man erst fühlen muss, denn »geben wir dem Denken an dieser Stelle zu viel Raum, dringen wir nicht tief genug in die Zusammenhänge ein. Das Denken hat später genug zu tun, wenn es darum geht, die Dinge und Erkenntnisse zu benennen.« Sein Ziel: sich der Qualität annähern. Seine Voraussetzungen: Bewusstsein und Individualität. Kreativität. Kontinuum im Wandel.
Kommt uns das alles nicht bekannt vor? Investieren ins Verlieren. Sich beobachten. Nichts tun. Bewegung von innen nach außen. Qualität. Kontinuum im Wandel. Und das ist das Spannende an diesem Buch: Es ist eigentlich ein Taijiquan-Buch. Eines, das die Philosophie des Taijiquan auf etwas anderes anwendet (außerdem bezieht er sich auf die Anthroposophie Rudolf Steiners). Dazu gibt es ja ein paar Ansätze in Deutschland, Rainer Maria Kohl in Karlsruhe, Daniel Grolle in Hamburg, von Jan Silberstorff sind immer wieder Ausflüge in diese Richtung zu hören, oder der von Jan Bollwerk im Anhang empfohlene Wilhelm Mertens. Meistens ist das auf (Liebes-)Beziehungen bezogen.

Taijiquan ist, umfassend verstanden, nicht nur eine Entspannungs- oder Kampfmethode, sondern auch eine Methode zur Selbsterfahrung und -verbesserung. Manche wie der Yang-Stil-Lehrer John Ding gehen sogar soweit, dass er eine persönliche Weiterentwicklung manchmal für unabdingbar hält für eine Entwicklung im Taijiquan. Also muss man sich immer wieder fragen: Was bedeutet das, wenn ich im Push Hands zu viel Yang benutze, zu hart bin? Was bedeutet es, wenn ich mit viel Yin nicht umgehen kann, nicht durchlässig werde? Was will mir das Becken sagen,wenn es immer wieder ausbricht?

Und: Was bedeutet Taijiquan für mein Leben, für meine Beziehungen, für meine Freundschaften oder, wie hier, für meine Führungsqualitäten (das sollten sich dann auch alle Taijiquan-LehrerInnen fragen!), für meine Arbeit im Management – und das kann auch ein Selbstständiger sein, der eine Qigong-Schule aufmachen und leiten will.

Jan Bollwerks Buch ist aber eben kein esoterischer Gemischtwarenladen mit geheimnisvollen Vokabeln und Taiji-Übungen, sondern ein direkter Vorschlag für Menschen, die in der Wirtschaft tätig sind, mit genauem Insiderwissen (er spart übrigens nicht mit Kritik am System und an den Ausführenden) und sehr einfachen und praktikablen Beispielen, die meisten aus dem Alltagsleben und sehr viele aus der Wirtschaft selber. Das werden Manager sofort verstehen. Und dann haben sie ein wenig Taiji-Philosophie aufgenommen, ohne es zu wissen.