TQJ 1/2013

Rezensent:
Helmut Oberlack

Günther Dogan:
Professionelles Tai Chi Chuan – Ein kompletter Grundkurs im authentischen Tai Chi Chuan in Theorie und Praxis

Aequinox 2011, 172 Seiten, Ringbindung, 27,90 EUR, als e-Book 23,90 EUR,
ISBN 978-3-939246-03-9

Das Fazit mal gleich vorweg: Eigentlich ist es ein wirklich gutes Taiji-Buch, tja eigentlich. Selten habe ich ein so widersprüchliches Buch in den Händen gehabt. Das an sich ist ja schon mal etwas Interessantes. Es ist kein »richtiges« Buch, sondern ein im Selbstverlag herausgegebenes Ringbuch. Es hat zwar eine ISBN, ist aber nicht im Buchhandel zu finden. Nun denn, solche Formalien müssen ja nicht den Inhalt beeinträchtigen, im Gegenteil. So ist der Autor unabhängig und kann so manches schreiben, was ein größerer Verlag etwa aus Marketinggründen nicht im Buch haben will. Und diese Freiheit nimmt sich Günther Dogan erfreulicherweise auch.

Das Buch »Professionelles Tai Chi Chuan« ist der dritte Band einer Reihe und derAutor weist darauf hin, dass es nicht als Einzellehrwerk verstanden werden soll, sondern die ersten beiden Bände »Professionelles Qi Gong« mit den Untertiteln »Die Techniken der Meister« (Band 1) und »Das Intensiv-Training« (Band 2) ergänzt. Zunächst dachte ich, jetzt müsse ich alle drei Bände lesen, doch im Taiji-Band schreibt Günther Dogan im Vorwort, dass jeder mit diesem Buch »leicht, einfach und sicher, zuhause und in Eigenregie das Tai Chi Chuan rasch und dabei effizient gründlich« lernen kann, um »so das wirkliche Geheimnis der taoistischen Kraft und Gesundheit an sich zu entdecken und wahrhaft zu entfalten«. So las ich ihn ausführlich, die beiden Qigong-Bände habe ich nur überflogen.

Gleich am Anfang stellt der Autor die Frage, ob man aus einem Buch Taijiquan lernen kann. Seine Antwort lautet: Ja und Nein, genauso wie man durch einen persönlichen Lehrer lernen könne oder nicht. Denn im Grunde lerne man aus sich heraus. Als Beispiel dafür führt er an, »alle Meister haben letzten Endes doch ihren Weg eigenständig gefunden« und oft höhere Fähigkeiten entwickelt als der Lehrer, von dem sie die äußere Form gelernt haben. Diese Aussage halte ich für zumindest sehr gewagt, denn ich nehme an, dass sie durch ihre(n) Lehrer mehr als nur die Form gelernt haben.

Das Buch richtet sich an AnfängerInnen – bei diesem Titel bereits ein Widerspruch. Erst einmal gehe es darum, »aus notwendigerweise rein intellektuellen Quellen (also Sprache, sprachlicher Unterweisung oder eben auch seinem schriftlichen Äquivalent, der schriftlichen Unterweisung) die Basics kennen zu lernen«. Alles Weitere müsse eh überwiegend selbst entwickelt werden und wer sehr ambitioniert übe, könne sich weit entwickeln. Letzterem stimme ich natürlich zu, aber ob das Lernen einer Form am Anfang nur über »rein intellektuelle Quellen« erfolgt, bezweifle ich.

Taijiquan zu lernen sei einfach. Es komme im Wesentlichen darauf an, zuerst die Form zu lernen und sich dann nach und nach mit den Details vertraut zu machen. Diese Aussage stimmt natürlich, doch ich stelle mir die Frage, ob das wirklich gelingen kann, wenn man keinen persönlichen Unterricht hat. Und glücklicherweise erwähnt Günther Dogan auch, dass es immer besser sei, einen persönlichen guten Lehrer zu haben. Dennoch kommt immer wieder durch: Mit diesem Buch kann jedeR, der oder die wirklich will, Taijiquan umfassend lernen.
Kurz und nicht gut: Das Buch beginnt mit einigen Thesen, die zumindest zweifelhaft sind.

Sehen wir mal davon ab, hat das Buch wirklich einiges zu bieten, was in den allermeisten Taiji-Büchern nicht zu finden ist. In den ersten beiden Teilen geht Günther Dogan auf das Taijiquan allgemein und seine Grundlagen ein. Und hier wird das Buch wirklich gut. Was er schreibt zu Yin/Yang, zu Jin, Fajin, Energiespiralen, dem Komprimieren, zu Qi, zu leer und voll, zum Absorbieren, zur Haltung, zur Zentralachse, zur Verwurzelung, zum Gleichgewicht und und und, ist eigentlich super. Ich kann mich an kein Taiji-Buch erinnern, das diese wichtigen Themen so umfangreich behandelt. Sicherlich ist es nichts Neues für langjährig Taiji-Übende, aber für AnfängerInnen ist es richtig viel Stoff. Die Einschränkung »eigentlich« mache ich nur, weil mir hin und wieder zu viel »Energie«, zu viel »Feinstoffliches«, zu viel »Phantastisches«, zu viel »Authentisches« erwähnt wurde.

Das Fundament für ein authentisches Taijiquan bildet für Günther Dogan die Entwicklung der inneren Kräfte durch das Üben von Qigong, wobei er insbesondere den Grundstand (Wuji-Stellung) und Standpositionen aus dem Zhanzhuang meint. Hin und wieder kommen Verweise auf die Qigong-Bände, in denen manches noch ausführlicher dargelegt wird. Das ist zwar im Moment des Lesens schade, aber gut verständlich, denn sonst würde der eh schon große Rahmen noch weiter aufgemacht werden und der Fokus würde sich zu sehr vom Taijiquan entfernen.

Im Formteil beschreibt Günther Dogan die Kurzform des Yang-Stils nach Zheng Manqing. Ich habe noch nie eine so detaillierte Darstellung der Form gesehen, jede Figur hat mehrere Teilschritte mit ausführlicher Erklärung, eigenen Zeichnungen und einem Fußdiagramm. Gut gefallen hat mir auch, dass Günther Dogan immer die Hüftbewegung deutlich herausstellt, so dass deren Rolle für die Lenkung der Taiji-Bewegungen deutlich wird.

Leider wird das nicht ganz stringent eingehalten, aber trotzdem: gut gemacht! Auch die Einleitung zur Form mit Tipps zum Üben und den Erklärungen der Begriffe ist ausführlich und gut gelungen. Abschließend gibt es noch eine Schnellübersicht der Form mit allen Zeichnungen. Dieser Teil ist gut gemacht.

Kann das Buch seinem Anspruch gerecht werden und das »effizient gründliche Lernen in Eigenregie« ermöglichen? Ausprobieren konnte ich es nicht, denn ich übe Taijiquan und diese Form schon über die Hälfte meines Lebens. Aber ich hege Zweifel. Erstens grundsätzlicher Art und vielleicht auch, weil das Buch zu ausführlich ist und zu viele Informationen beinhaltet, die AnfängerInnen überfordern, gerade was die inneren Bewegungen beim Taijiquan betrifft. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man die »ganzen Innereien« des Taijiquan ohne persönlichen Unterricht erfahren, erlernen und später jederzeit reproduzieren kann.
Günther Dogan hätte den Ball am Anfang etwas flacher halten und einen anderen Buchtitel wählen sollen.