TQJ 2/2010

Rezensent:
Friedhelm Tippner

Dan Docherty
Tai Chi Chuan – Decoding the Classics for the Modern Martial Artist
Ramsbury 2009, Sprache: Englisch, 142 Seiten, Pb, 17,99 €
ISBN-13: 978-1-84797-084-8

Es ist schon eine seltene Ausnahme, dass das TJQ-Journal ein englischsprachiges Werk in seine Buchrezensionen aufnimmt. Aber in diesem Fall scheint mir diese Ausnahme gerechtfertigt, denn der Autor – Dan Docherty – dürfte der breiten Leserschaft des Journals kein Unbekannter sein.

Der gebürtige Schotte ist ein echtes Taiji-Urgestein, kantig und kein Blatt vor den Mund nehmend, wenn es darum geht, seine persönliche Meinung kund zu tun. Und so dürfen die geneigten LeserInnen von diesem Buch neben einer Fülle wertvoller und interessanter Informationen zu den Taiji-Klassikern auch viele unterhaltsame Anekdoten sowie mit erfrischender Respektlosigkeit vorgetragene und mit einer guten Prise schottischen Humors gewürzten Geschichten aus Dans persönlichem „Taiji-Weg“ erwarten.

Der Umschlagtext verspricht: „Tai Chi Chuan – Decoding the Classics for the Modern Martial Artist ist das erste Buch in englischer Sprache, welches eine detaillierte, illustrierte Interpretation der Tai Chi Chuan-Klassiker, der klassischen Schriften über den Faustkampf und des Tai Chi-Diagramms anbietet. Das Ziel dieses bemerkenswerten Buches ist den Leser zu befähigen, diese historischen Unterlagen praktisch umzusetzen und in das alltägliche Kampfkunsttraining zu integrieren.“ Das ist sicherlich ein recht hoher Anspruch, der aber meiner Meinung nach vom Autor in eleganter Weise erfüllt wurde.

Zum Inhalt selbst ist zu sagen, daß er nach Vor- und Abspann übersichtlich in drei Abschnitte gegliedert ist: Nach einem Vorwort von Dr. Alexandra E. Ryan und der üblichen Widmung, Danksagung und Einführung befaßt sich Teil 1 mit der Bedeutung des Begriffs „Chinesische Kampfkünste“ vor dem Hintergrund ihres kulturellen Umfeldes. Es folgt ein kurzer Überblick über die philosophischen Ursprünge der theoretischen Grundlage des Taijiquan, ein Vergleich des Verhältnisses zwischen Taijiquan und daoistischer innerer Alchemie und die Bedeutung der Klassiker in der chinesischen Kultur.

Teil 2 konzentriert sich nach einer allgemeinen Einführung mit den vom Verfasser ausgewählten Klassikern selbst, nämlich „Taijiquan Lun“ (Diskurs über das Taijiquan), „Taijiquan Jing“ (Kanon des Taijiquan), „Shi San Shi Xing Gong Xin Jie“ (Interpretation der Praxis der 13 Taktiken), „Shi San Shi Ge“ (Lied der 13 Taktiken) und „Da Shou Ge“ (Lied der schlagenden Hände). Jeder dieser Texte wird mit speziellen Erklärungen in Gänze vorgestellt und anschließend akribisch Vers für Vers interpretiert, erläutert und kommentiert. Mit ergänzenden Fotos und Diagrammen versehen, erschließt sich der Inhalt leicht, man kann Dan Docherty bequem folgen.

Der 3. Teil widmet sich der Dualität bzw. Polarität des WenWu (Kultur bzw. Schrift/Kampf), einmal unter den zivilen/kulturellen Aspekten der „Erklärungen zum Taiji-Diagramm“ des Neokonfuzianers Zhou Dunyi und den kriegerisch/militärischen des Generals Qi Jiguang, der das Militär-Handbuch „Ji Xiao Jin Shu“ (Buch der neuen Analysen) schrieb; Dan Docherty erläutert hier speziell das 14. Kapitel „Quan Jing“ (Klassiker des Fauskampfes), welches sich mit waffenlosen Kampftechniken befasst. Diese Abhandlungen mögen nicht unbedingt direkt mit Taijiquan zu tun haben, aber nach Auffassung des Autors sind sie wichtiges Quellenmaterial. Auch hier gibt es eine Fülle von Abbildungen bzw. Reproduktionen alter Zeichnungen von Kampftechniken; Docherty schlägt mit seinen Deutungen der Verse eine begehbare Brücke zum Taijiquan, ein meiner Meinung nach interessanter Ansatz.

In seiner Abschlussbetrachtung über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Taijiquan weist der Autor u. a. mit persönlicher Anteilnahme auf die zum Teil doch recht seltsamen Entwicklungen hin, die dem Taijiquan im Laufe der Zeit wiederfahren sind. Ein Hinweis auf nützliche Webadressen sowie ein Glossar nebst Index vervollständigen das Werk.

Und damit das Lesen nicht zur staubtrockenen Angelegenheit wird, sorgen Schilderungen persönlicher Erfahrungen des Autors, Reiseerlebnisse sowie eingestreute Anekdoten für Auflockerung – wie zum Beispiel die der dubiosen Umstände, unter denen Yang Chengfu verstarb.

Das Buch selbst ist auf gutem Papier gedruckt und reich bebildert, die Fotos sind alle vierfarbig widergegeben, Grafiken, Zeichnungen und Diagramme fallen deutlich und angenehm durch ihren gelben Hintergrund ins Auge.

Fazit: Ein gut gelungenes Werk, interessant und kurzweilig und nicht nur für Enthusiasten der klassischen Taiji-Schriften empfehlenswert.