TQJ 2/2011

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

Lilo Ambach und Yürgen Oster
»Keine Gnade«  – Leben und Lernen bei den Kampfkunstmönchen auf dem Wudangshan
Aisthesisverlag 2010, 216 Seiten, 24,80 EUR/38,00 SFr
ISBN 978-3-89528-777-0

Die Berge von Wudang, das daoistische Kloster – der Ort, wo der Legende nach Zhang Sanfeng das Taijiquan erfand … dem Taiji-Adepten hierzulande klingt es traumhaft: dort einmal hinreisen, dort Unterricht nehmen! Wer bisher nicht Zeit, Geld oder Mut fand, seine Träume an der Realität zu überprüfen, der bekommt jetzt die Chance, recht hautnah mitzuerleben, wie es zweien erging, die auszogen, sich und ihr Taijiquan dem gnadenlosen Blick der Lehrer am heiligen Berg zu unterwerfen. Yürgen Oster und Lilo Ambach ermöglichen uns einen authentischen Einblick in das „Leben und Lernen bei den Kampfkunstmönchen auf dem Wudanshang“.

Was wir zu lesen bekommen, ist zum Teil sehr weit weg von dem, was hier bei uns unter Taiji als Gesundheitsübung oder Meditation in Bewegung verstanden wird. Taijiquan ist dort klar ein Aspekt des Wushu, der Kampfkunst, und es wird gleichermaßen hart trainiert. Getreu dem Motto: Ein Meister, der dich schätzt, ist hart zu dir! Aber nicht nur die Trainingssituation hält Überraschungen bereit. Diese Reisen sind tägliche Auseinandersetzung mit einer ganz anderen Kultur. Wohl dem, der gelernt hat, seine (unsere) Werte nicht für das Maß aller Dinge zu halten. Auch in diesem Sinne scheinen die Reisen zum Wudangshan tiefe Lernerfahrungen zu ermöglichen.

Die AutorInnen praktizieren schon seit 30 beziehungsweise 20 Jahren Taijiquan und unterrichten lange. Seit 2005 reisen sie regelmäßig zu den daoistischen Kampfkunstmönchen und so hat sich, wird betont, eine tiefe Freundschaft zu Lehrern und Schülern vor Ort entwickelt. Das Reisetagebuch ab 2007, geschrieben in liebevoll-ironischer Distanz zu den zunehmend vertrauten, fremden Gebräuchen, ermöglicht ungewöhnliche Einblicke.

Besonders schön finde ich, dass hier zwei Stimmen erzählen: Yürgen Osters Stil ist mehr der knappe, umgangssprachliche eines modernen Bloggers. Und als Blog sind die Texte wohl auch ursprünglich erschienen. Lilo Ambach entwickelt fast literarische Qualitäten, geistreich und zum Teil umwerfend komisch. Beiden ist etwas sehr Sympathisches gemeinsam: Sie sparen nicht mit Selbstironie. So ist auch Yürgen Osters Hinweis zu verstehen, der Ort sei ein „Paradies für Bekloppte“. Denn warum sonst tut man sich diesen gnadenlosen Drill unter höchst unkomfortablen Bedingungen an? Ihre Antwort: Weil die Erfahrung die Beteiligten zutiefst verändert – offenbar in einer Weise, wie wir sie uns vom Taiji-Training erhoffen. Wer nicht selbst reisen kann: unbedingt lesen. Ein packendes Mit-Reiseerlebnis!