Paul Cavel:
The Tai Chi Space. How to move in Tai Chi and Qigong
Aeon Books Ltd. 2017, 123 Seiten, TB, ca. € 17
ISBN 978-1-90465-898-6
Der Titel lässt viel erwarten. Eine definitive Klärung der Bewegungsprinzipien in Taijiquan und Qigong? Es werden 42 »Grundprinzipien der inneren Künste« anhand von Bildern und Vergleichen vorgestellt. Dr. Michael Mettner weist im Vorwort darauf hin, dass Metaphern, Bilder und Symbole als die ursprüngliche Sprache unseres Unbewussten dabei helfen können, Bedeutung zu übertragen und in tiefere Ebenen unseres Bewusstseins eindringen zu lassen. Da können sicherlich alle LehrerInnen unserer Künste mit- gehen. Der zweite Untertitel spricht allerdings von einer »Bildanleitung« (»pictorial guide«), so dass mir nicht mehr so klar ist, ob es sich um Sprachmetaphern oder eher ein Bilderbuch handelt.
Die Prinzipien sind kapitelweise sortiert in »grundlegende«, »innere« und »tiefere«. Paul Cavel beginnt erklärtermaßen mit den einfachsten grundlegenden Prinzipien, beispielsweise der »2/3-Regel«, »song sein«, »unten voll, oben leer« – bei letzterem findet sich die für AnfängerInnen hilfreiche Gegenüberstellung des schiefen Turms von Pisa und der Pyramide von Gizeh. Manche der bekannten bildlichen Ideen sind mit ausdrucksstarken und inspirierenden Zeichnungen illustriert, wie etwa die Idee des Verwurzelns, das Führen der Arme durch die Handgelenke, der geknickte Schlauch, um an die zu vermeidende Qi-Blockierung bei ein- gerasteten Gelenken zu erinnern, oder die Drehtür für die Bewegungsweise des Körperzentrums. Andere Bilder dagegen bringen kaum Neues, wie etwa die anatomische Darstellung der Bauchatmung, das quasi-tautologische Bild »Kameralinse« für »Fokus« oder das Bild der Marionette. Insgesamt sind die Bilder in Teil 1 hilfreiche Standardanweisungen für das Anfängertraining.
In Kapitel 2 gibt Paul Cavel dann etwas unkonventionellere und teils inspirierende Bilder, wie zum Beispiel die »Körperanker«, mit oft auch sehr sinnigem Bezug zu Formfiguren, in denen das jeweilige Prinzip besonders effektiv zu erleben ist. Bei anderen Prinzipien wiederum rutschen die sehr kurzen Erklärungen doch manchmal ins eher Nichtssagende ab. Eine Metapher allein macht eben noch keine Inspiration, es gibt leider auch eine Menge triviale und »tote Metaphern«, die sich notorisch im Jargon der Taiji- und Qigong-Szene tummeln. Im dritten Kapitel, wo es noch abstrakter wird, ist entsprechend die genannte Gratwanderung noch heikler, an einigen Stellen gelingt sie dem Autor, an anderen nicht – in diesen Fällen wäre es sicher hilfreich gewesen, wenn er sich mehr Zeit und mehr Raum für die sprachlichen Erklärungen genommen hätte.
Paul Cavel hat ein schönes Büchlein verfasst, das sicherlich geeignet ist, das persönliche Training mit neuen Inspirationen zu bereichern. Ob die als allein selig machende Zugangsweise von seinem Lehrer Bruce Frantzis wirklich so orthodox ist, wie hier dargestellt, darüber lässt sich sicher streiten. Auch inhaltlich kann ich mit einigen (wenigen) der genannten Prinzipien absolut nicht mitgehen (Stichworte: »Gewichtsverlagerung« und »innerer Schwung«). Meine grundlegende Kritik gilt aber dem Anspruch, die grundlegenden Prinzipien des Taijiquan und des Qigong darzustellen. Es gibt natürlich viele Überschneidungen zwischen Taijiquan und Qigong, aber Prinzipien einer Kampfkunst einerseits und einer so weitverzweigten Familie von Bewegungs- und Energiekünsten, wie es »das« Qigong ist, andererseits über einen Kamm scheren zu wollen, scheint mir von vornherein höchst problematisch und mit einem uneinlösbaren Anspruch belastet. Für das System, das der Autor vertritt, mag das angehen, generalisieren lässt es sich jedoch nicht.