TQJ 1/2021

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

Yang Tianying:
Wie die Seele wieder fliegen lernt. Lebenskrisen bewältigen mit Tian Ai-Gong
Jerry Media 2019, 240 S. brosch., € 12,70,
ISBN: 978-3-9524441-7-7

Dass wir uns im Qigong mit Phänomenen beschäftigen, die nicht alle mit der gängigen westlichen Weltsicht übereinstimmen, wissen wir. Und doch ist die Art, wie wir im Allgemeinen Qigong verstehen, sehr an unsere westlich-materialistische Sichtweise angepasst. Darauf macht ein Buch wie das von Yang Tianying aufmerksam.

Sie ist meines Wissens eine der wenigen in Europa praktizierenden Qigong-Expertinnen, die sich mit der Bedeutung der Seele und ihrem Wirken beschäftigen. Das Tian Ai Qigong, dass sie gemeinsam mit ihrer Schwester Tianping entwickelte und an einem eigenen Institut in Berlin unterrichtet, zielt ganz auf die Heilung und Entwicklung der Seele ab. Und ihr Buch ist ein flammendes Plädoyer dafür, dass wir verstehen, wie wichtig dieser Bereich für die Entwicklung von Gesundheit und Frieden für die Menschheit ist. Sie führt aus: Neben der Yang-Welt der Erscheinungen, die wir mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen können, gibt es eine genauso große Yin-Welt, die für uns normalerweise unsichtbar ist. Deshalb kamen die Menschen zum Trugschluss, dass es sie nicht gibt. Aber in ihr herrschen die gleichen Gesetze und die Phänomene der Yin-Welt wirken auf die uns vertraute Yang-Welt ein. Sie ist die Welt der Seele beziehungsweise der Seelen. Neben unserer eher wissenschaftlich-materialistischen Weltsicht mag eine Schwierigkeit, dies zu verstehen, für uns sein, dass unsere Vorstellung von »Seele« von einer christlichen Tradition geprägt ist, die Wiedergeburt nicht kennt. Yang Tianying weist darauf hin, dass in allen Kulturen, selbst in der Bibel, Hinweise auf die Wiedergeburt der Seelen zu finden sind. Demnach ist die materielle Welt die Yang-Welt, in die die Seele bei Zeugung/ Geburt eintritt und die sie nach dem Tod wieder verlässt, um in die Yin-Welt zurückzukehren. Doch beide sind miteinander verwoben und beeinflussen einander – ganz dem Gesetz von Yin und Yang folgend.

Nach Yang Tianying hat unter anderem die große Anhaftung der Menschen an die Yang-Welt dazu geführt, dass See- len sich nach dem Tod schlecht von den Lebenden oder vom leiblichen Leben überhaupt lösen können. Auch karmische Verstrickungen binden die Seelen. Falsch verstandene Liebe, Rachegefühle oder auch einfach große Angst vor dem Tod und insgesamt ein zu schwaches Energieniveau der Seele können dazu führen, dass Seelen Verstorbener statt »heimzugehen« hier verweilen und Menschen heimsuchen, mit denen sie karmisch verbunden sind. Durch diese»Anhaftung von Fremdseelen« entstehen nach Yang Tianying Störungen im Qi- Feld der Betroffenen, sogenannte »Informationskrankheiten«. Diese können sich vielfältig niederschlagen, von leichten Gemütsstörungen über schwere psychische Erkrankungen bis zu schwersten körperlichen Krankheiten. Ja, sogar Unfälle und Schicksalsschläge können durch Einwirkung solcher Fremdseelen ausgelöst werden.

Die Autorin schildert, wie sie selbst Heilung einer eigenen Krankheit erst auf diesem Weg erfahren hat, wie sie lernte, mit dem »Himmlischen Auge« solche Informationen zu sehen und wie sie mit Hilfe ihres Lehrers und »Himmlischen Meisters« zu einer Expertin darin geworden ist, diese Zusammenhänge zu erkennen und zu regulieren.

Einen sehr großen Teil des Buches nehmen Erfahrungsberichte mit Krankheitsgeschichten und deren Regulierungen ein. Dabei wird eine solche Fülle von möglichen Krankheiten und Unglücksfällen aufgeführt, dass ich spontan dachte: Ein Hypochonder sollte dies Buch bitte nicht in die Hand nehmen. Ängstliche und instabile Persönlichkeiten könnten sich anschließend »umzingelt von bösen Mächten« fühlen, fürchte ich.

Ein wenig offen bleibt auch, ob wir, wenn ein Teil unserer Probleme also aus karmischen Verstrickungen und entsprechenden Informationskrankheiten entspringt, nun alle darauf angewiesen sind, bei der Autorin und ihrem Institut Hilfe und Zuflucht zu finden. So fühlte es sich eine Zeit lang beim Lesen an – und es irritierte mich.

Ungefähr die letzten 50 Seiten des Buchs widmet Yang Tianyang dann aber der Möglichkeit eigener Praxis. Damit Menschen, die von einer Informationskrankheit befallen wurden, auch nach einer Regulierung stabil und gesund bleiben können, müssen sie durch eigene Praxis die geschädigten Bereiche im eigenen Qi-Feld »auffüllen« und durch eine tugendhafte Praxis die karmischen Anknüpfungspunkte für die Fremdseele selbst auflösen.

Damit wird klar: Diese Form des Qigong ist ganz und gar Tugend-Praxis. Sie steht in einer chinesischen Tradition, die Xiu-Lian genannt wird. Yang Tianyang benennt die »Xiu-Lian-Schlüssel«: den Himmel verehren, die große Liebe leben, Begierden einschränken, Demut entfalten, Dankbarkeit zeigen, Körper und Seele läutern.

Am Ende des Buches beschreibt sie die Basisübungen ihres Instituts, mit denen Menschen sich in dieser inneren Haltung einüben können: Die »Himmlische Übung« ist eine, die intensiv an den Qi- Strom von Himmel und Erde anbindet. Es folgt die »Übung zur Öffnung der Herzen«, die unser Herz weitet und uns ins Mitgefühl mit allen lebenden Wesen bringt. Mit der »Kreuzübung« können wir uns in den Zustand tiefer Bitte um Vergebung versenken, für jegliches Leid, das wir Lebewesen angetan haben.

Die Übungen sind einfach und gut erklärt. Sie stellen für jede und jeden, der es will, eine gute Möglichkeit dar, selbst einen Beitrag zur Regulierung zu leisten – der eigenen und der zwischen Yang- und Yin-Welt.