Carlos Cobos Schlicht:
Ursprünge der Tradition chinesischer Leibmeisterung (qigong). Ihr Einfluss auf den Daoismus und Chan-Buddhismus am Beispiel der Zwölf Ornamente des Emei Linji Qigong
Projekt 2013, 644 Seiten brosch., 29,80 EUR
ISBN 978-3-8973331-7-8
Nach den Büchern von Thomas Heise (Qigong in der VR China, 1999) und von Thomas Milanowski (Die magischen Körper-Geistübungen Chinas und deren Verbindung zum Schamanismus, 2004) hat Carlos Cobos Schlicht nun ein weiteres Buch geschrieben, das die Wurzeln des Qigong und deren Bezug zum Schamanismus ergründen soll. Hervorgegangen ist das Buch aus einer Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum, aber der Autor ist nicht nur Wissenschaftler, sondern praktiziert und unterrichtet auch selbst Taijiquan, Qigong und Aikido.
Entsprechend nah ist das Buch an der Praxis, untersucht er doch die Zusammenhänge zwischen Qigong, Schamanismus, Daoismus und Buddhismus am Beispiel der Übungsreihe der »Zwölf Ornamente des Emei Linji Qigong«, einem daoistischen Übungssystem aus der Zeit um 1200, das in den Chan-Buddhismus integriert und von den buddhistischen Mönchen des Tempels zur Lichterscheinung am Goldenen Gipfel auf dem Berg Emei in der Provinz Sichuan geübt wurde. Daher eignet sich diese Übungsreihe aus Sicht des Autors besonders zum Nachweis, wie daoistische Glaubenssätze und Praktiken den Chan-Buddhismus beeinflusst haben. Außerdem finden sich hier archaische Vorstellungen, die auf den Schamanismus zurückgeführt werden können und bis in die Zeit des Neolithikums zurückreichen.
Herausgekommen ist ein anspruchsvolles, umfassendes Buch, das hervorragend die historische Entwicklung des Qigong darstellt unter Einbeziehung der gegenseitigen Einflüsse von Schamanismus, Daoismus und Buddhismus. Es besteht aus drei Teilen und beginnt mit einer historischen Betrachtung des Qigong mit Schwerpunkt auf den Zwölf Ornamenten des Emei Linji Qigong, aber auch mit vielen allgemeingültigen Informationen zum Qigong bis hin zu einer Beschreibung des Weges der inneren Alchemie. Interessant auch die Ausführungen zu den buddhistischen Wurzeln des Qigong und deren Leiblichkeit in Achtsamkeit, wird doch dem Buddhismus oft eine den Körper ablehnende Haltung nachgesagt.
Der ganze zweite Teil widmet sich dem Schamanismus und dessen Verbindung zum Qigong unter Bezugnahme auf archäologische Forschungsergebnisse und klassische Texte. Darin beschreibt der Autor auch die Ursprünge und Wandlungen grundlegender Begriffe der chinesischen Medizin und des Qigong wie Qi, Yin und Yang, die Seelenkonzepte Hun und Po sowie sehr ausführlich das Neijingtu. Der dritte Teil gehört ganz der umfassenden Darstellung der Zwölf Ornamente des Emei mit Übersetzungen der Merkverse und Übungsbeschreibungen.
Dieses Buch ist für mich ein wichtiger Beitrag, um Qigong aus der Klassifizierung als Entspannungsgymnastik zu holen, es wieder in einen größeren religionsgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen und die Tiefe und Bedeutung dieser Methode zu erkennen. Sicherlich kein Buch für AnfängerInnen, aber inspirierend für alle ernsthaft Interessierten und vor allem für Qigong-Unterrichtende.