TQJ 02/2014

Rezensent:
Georg Patzer

Yürgen Oster:
Der zwölfteilige Brokat und alles andere
Books on Demand 2014, broschiert, 29,90 EUR
ISBN 978-3735784841

»Ein Mann läuft um eine Säule, hämmert mit den Fäusten dagegen und schreit: ›Hilfe! Ich bin eingemauert.‹« So endet das neue Buch von Yürgen Oster, und das ist typisch. Schön versteckt hat er es: ganz hinten unten, hinter der Werbung. Belohnt wird also der, der nicht denkt, dass ein Buch vor den Literaturangaben aufhört. Zum anderen ist die Geschichte nicht nur witzig, sondern auch hintersinnig. Denn wie bei Kafka müsste der Mann ja nur »die Laufrichtung ändern«.

So sind wir. Gefangen in unseren Ideen, unwillig, uns zu ändern. Sind beleidigt, wenn niemand sieht, dass wir bessere Menschen sind, weil wir Qigong üben. Wenn sich zu wenig Schüler für einen Kurs anmelden. Und wir wissen genau, was ein Tisch und was ein Hocker ist. Auch diese Geschichte erzählt Yürgen Oster: Wie er im Wudang-Kloster saß und Handwerker einen Tisch brachten und einen Hocker und den Hocker auf den Tisch stellten. Nein, das war doch falsch, das wusste Yürgen genau. Sie bewiesen ihm das Gegenteil.

Ein Fachbuch über die Brokatübungen zu schreiben, dazu gehört schon ein bisschen Mut, schließlich gibt es darüber schon genug Literatur. Yürgen Oster aber verknüpft die Beschreibung der Übungen (in seiner, der Wudang-Schule gibt es nicht acht, sondern zwölf) nicht nur mit ausführlichen Erklärungen von Leitbahnen, Wandlungsphasen, Daoismus. Sondern vor allem mit klugen und witzigen Bemerkungen über »alles andere«. Alles andere: Das sind wir. Unsere Schwierigkeiten mit der chinesischen Art zu denken – da prägt Yürgen Oster die Unterscheidung von hardware und software, in deren Begrifflichkeit wir beziehungsweise die Chinesen denken. Unsere Sucht danach, möglichst alles genau zu verorten. Stattdessen schreibt er vom Dantian als »Ereignis« – die beste Definition, die ich je gehört habe.

Von solchen Aha-Erlebnissen ist sein Buch voll, immer vermischt mit mehr oder weniger gelungenen Beschreibungen der Übungen und sehr guten Fotos, durch die man wirklich versteht, was man machen muss. Mit viel Wissen über magische Quadrate, die Acht Unsterblichen, den Affenkönig und die Kosmologie, Altern und Selbstheilungskräfte, Nierenphysiologie und Ebbe und Flut in den Leitbahnen, Talleyrand und Meditation, chinesische Schrift und die Erkenntnisse, die man daraus für die Qigong-Praxis gewinnen kann. Oder für das Leben. Was für Yürgen Oster dasselbe ist.