TQJ 4/2020

Rezensent:
Georg Patzer

 

 

Liu Han Wen:
Chinesisches Chan Mi Qi Gong. Das ganze Buch
Lotus Press 2020, 516 Seiten mit über 700 Abbildungen, € 39
ISBN 9783945430880

Zuallererst wird das Dritte Auge geöffnet. Dann wird der Raum Mi Chu geöffnet, der Damm- oder Beckenbodenbereich, die »intime/geheime Stelle«, das ist zugegebenermaßen schwierig, deswegen nennt man es auch »das eiserne Tor (Tie Men)«. Beim Chan Mi Qi Gong wird er nicht hochgezogen, sondern entspannt, gleichzeitig mit dem Öffnen des Dritten Auges. Dann wird das Gewicht zu sieben Zehntel auf die Fersen verlagert. Und dann beginnt man, die Wirbelsäule zu bewegen. Diese Übung der Wellenbewegung soll in vier Schritten geübt werden: Die Yongdong-Bewegungen erinnern an die Bewegung einer Raupe oder die Bewegung, die man im kleinen Energiekreislauf macht. Baidong mit den seitlichen Schwingungen lässt an eine Schlange denken, Niudong ist eine Drehung beziehungsweise eine Spirale, und in der vierten Bewegung werden die Basisübungen frei miteinander kombiniert. Und das sind wundervolle, einfache Übungen, die schon mal den ganzen Körper öffnen.

Chan Mi Qi Gong ist nicht ganz unbekannt, es gibt eine deutsche Gesellschaft, die es seit Jahren verbreitet, und auch schon einige Publikationen, unter anderem von Ursula Stummvoll oder Zuzana Sebkova-Thaller. Manchmal wird es wegen dieser Basisübungen auch als »Wirbelsäulen-Qigong« verkauft – aber das sind tatsächlich nur die absoluten Basisübungen. Jetzt ist zum ersten Mal eine umfassende Darstellung erschienen, im Untertitel als »Das ganze Buch« bezeichnet, es ist die Übersetzung des Buchs, das der Begründer dieser Schule Liu Han Wen (1921 – 2004) 1988 herausgegeben hat. Und hier versteht man auch den Namen: »Chan« ist chinesisch für Zen, Meditation, und mit »Mi« sind esoterische und tantrische Schulen des Buddhismus gemeint, die im 7. und 8. Jahrhundert von Indien nach China gelangten, verwandt sind sie mit dem tibetischen Vajrayana. Chan Mi Qi Gong ist ein Qigong, das beides miteinander verknüpft und damit sehr weit und sehr tief geht. Visualisierungen und der Blick und das Spüren nach innen nehmen stets einen breiten Raum ein, auch schon bei den Basisübungen.

In dem über 500 Seiten starken Buch, das eine Übung auf die andere setzt, werden beide Seiten, die körperlich-energeti- sche und die meditativ-esoterische sehr deutlich. Das Qigong, das hier in aller Ausführlichkeit und in vielen Einzelheiten vorgestellt wird, zielt damit nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf höhere Fähigkeiten, zum Beispiel die »Erleuchtung des Herzens« (Ming Xin Fa) oder »die Kultivierung mit anderen« (Li Ta Du Fen), mit der man heilen kann. Die grundlegenden Übungen sind dabei leicht zu lernen, bei den »höheren« wird es dann schon schwieriger. »Das ganze Buch« ist ein dicker Klotz von einem Handbuch und bietet tatsächlich Material für jahrelanges Üben.