TQJ 03/2014

Rezensent:
Georg Patzer

Prof. Dr. Gudula Linck:
Ruhe in der Bewegung. Chinesische Philosophie und Bewegungskunst

Karl Alber 2013, 280 Seiten, 24 EUR
ISBN 978-3495486030

Die Kunst, einen Ochsen zu zerlegen: »Mit den Händen zupackend, mit der Schulter drückend, den Fuß aufsetzend und das Knie dagegen stemmend – ritsch-ratsch – rhythmisch zischend bewegt er das Messer – wie beim Tanz vom Maulbeerwald, wie im Takt der Jingshou-Musik. Da ruft der Fürst (begeistert) aus: ›Wunderbar! Wie erlangt man ein solches Geschick?‹« Wer das Zhuangzi gelesen hat, kennt die Antwort des Kochs Ding: »Dem dào bin ich zugeneigt. Das ist mehr als Geschick.« Eine lange Ausbildung hat er hinter sich. »Ich sehe es (also) nicht mehr mit meinen Augen, verzichte auf das Wissen der Sinne (gu?n-zh?) und handele nach den Regungen (yù) meiner Intuition (shén).« Es ist ein kurzer Text, der nicht nur tief in die daoistische Mystik führt, das Leben in den Gegensätzen, das Tun im Nicht-Tun, sondern auch in die Lebenspflege, das, was wir als Qigong kennen.

Philosophen sind manchmal etwas umständlich. Analysieren, erläutern, ordnen ein, nehmen auseinander und setzen wieder zusammen. Gudula Linck, emeritierte Professorin für Sinologie und Qigong-Lehrerin, die in ihrem neuen Buch die chinesische »Bewegungskunst« von der Seite der chinesischen Philosophie betrachtet, geht systematisch vor, von den alten chinesischen Texten her. Erklärt die Entwicklung mancher Begriffe im Lauf der Zeit, zum Beispiel dass das qì eine »Denkfigur« ist, die sich in den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung »aus alten Wind-, Sturm- und Wolkengottheiten« entwickelt hat: »Dem Treiben der Wind- und Wettergötter verdankt sie Varianten an Intensität, die im Widerstand und Widerstreit zu erproben sind. Dem rhythmisch erfahrenen Atem verdankt sie das Geschehen zwischen zwei Polen, und allem zusammen verdankt sich die Einheit der Welt.«

In der Tradition der Neuen Phänomenologie versucht sie das »Alphabet der Leiblichkeit« auf die Bewegungskünste Chinas anzuwenden, und das sind nicht nur Qigong und Taijiquan, sondern auch Musik und Malerei, Dichtkunst und die Kunst, einen Ochsen zu zerlegen – der Alltag. Sie schreibt über die »Denkfiguren«, dào, shén, jing und xin und wendet ihre gefundene Begrifflichkeit, Richtung und Raum, bipolares Geschehen, Resonanz und einiges mehr, auf Qigong und das »Spiel der Fünf Tiere« an, Dichtkunst, Malerei und Musik, Kampfkunst und »Qigong in Haus und Garten«.

Ihr Buch ist ein interessanter Versuch der differenzierten philosophischen Betrachtung, und es gelingt ihr, bei aller Detailliertheit und präziser Analyse, das Ganze, die Synthese der Einzelheiten nicht zu vergessen. Und schließlich hat Gudula Linck auch einige Übungen zum Spüren und Gewahrwerden eingefügt, damit die LeserInnen einen kleinen Geschmack dessen bekommen, was sie theoretisch herausgearbeitet hat.