TQJ 04/2000

Rezensentin:
Elvira Glück

Thomas Heise
Qigong in der VR China: Entwicklung, Theorie und Praxis
Reihe: »Das transkulturelle Psychoforum« Bd. 8
VWB Verlag für Wissenschaft und Bildung 1999, 272 Seiten geb.

Neben der Fülle populärer Literatur, die zur Zeit über Qigong auf dem Markt erhältlich ist, bietet Thomas Heise einen wissenschaftlichen, historischen Zugang. Auf manche mag das vielleicht etwas trocken wirken, ist »Qigong in der VR China« doch aus einer Dissertation hervorgegangen und bestimmt kein Einstiegsbuch für AnfängerInnen. Für ernsthaft Interessierte und Praktizierende, vor allem aber für selbst Lehrende bietet es wichtige Informationen zur Historie und neuzeitlichen Situation des Qigong in China bis etwa 1989.
Der Autor bringt dafür ideale Voraussetzungen mit. Er ist Arzt, Psychiater und Sinologe und hat während eines zweijährigen China-Aufenthaltes 1985 – 1987 umfangreiche Studien durchgeführt. Beim Lesen seines Buches ist deutlich spürbar, dass diese Studien nicht nur rein theoretisch und wissenschaftlich waren, sondern dass er sich auch praktisch mit Qigong beschäftigt hat und tiefer eingedrungen ist.
Das Buch ist klar gegliedert. Es beginnt mit einer kurzen Darstellung der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und ihrem Bezug zum Qigong, dann folgt ein Kapitel über den Schamanismus und den Ursprung des Qigong. Die Entstehungsgeschichte des Qigong liegt im Dunkeln und wird von den Chinesen gern mystifiziert. Auch Thomas Heise gibt keine eindeutige Antwort, bemüht sich jedoch um eine realistischere Annäherung. Er zeigt Spuren auf besonders zum chinesischen Schamanismus, aber ebenfalls zum Daoismus und zum Buddhismus. In den folgenden Kapiteln wird dann ein medizinhistorischer Abriss der TCM und der Entwicklung des Qigong bis 1989 gegeben. Interessant ist, dass Qigong in China schon immer mit der gesellschaftspolitischen Situation verflochten war. Ganz deutlich wird dies in der Neuzeit seit 1949 und während des »Qigong-Fiebers« in den Jahren 1983 bis 1989. So manche der Geschehnisse in China, die 1999 mit dem Falun Gong begannen und sich seitdem auf andere Qigong-Methoden ausgedehnt haben, erscheinen nach der Lektüre dieses Buches als eine Wiederholung von Ereignissen aus der chinesischen Geschichte. Häufig gingen revolutionäre Umsturzbewegungen von daoistisch orientierten Sekten aus, die von offizieller Seite argwöhnisch betrachtet oder auch verfolgt wurden.
Die weiteren Kapitel sind der Einteilung und Entwicklung der verschiedenen Qigong-Untergruppen und der Praxis des Qigong gewidmet. Leider bleibt der Autor hier ziemlich an der Oberfläche, streift die einzelnen Stile und deren Vertreter nur und beschränkt sich oft auf Zitate aus der Literatur. Eine tiefergehende qualitative Analyse war im Rahmen dieser Arbeit nicht geplant. Aber beim Lesen wird man neugierig und möchte gern mehr erfahren, sowohl über die Methodik der einzelnen Stile als auch über die Abwandlungen der modernen gegenüber den traditionellen Richtungen. Vielleicht gibt es zu diesem Thema ja noch einmal einen Folgeband.
Dennoch ist »Qigong in China« ein sehr empfehlenswertes Buch, nicht nur wegen der entwicklungsgeschichtlichen Informationen zum Qigong, sondern auch als Hilfe zu einer kritischen Beurteilung der im Westen verbreiteten Qigong-Methoden und deren Kommerzialisierung und für eine objektive Begegnung mit den vielen aus China anreisenden Meistern. Fundiertes Wissen über Qigong in seinem Herkunftsland trägt dazu bei, dieser so wertvollen Lebenskunst den Mantel der Verklärung abzunehmen und damit ein westliches Lernen und Lehren zu finden, mit dem sich Qigong in unserer Kultur verwurzeln kann.