TQJ 3/2017

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

Heike Gäßler:
Der leuchtende Schuh. Ein Qigong-Roman

spiritbooks 2012, 274 Seiten, € 14,90,
ISBN 978-3-9814714-8-9
als ebook € 3,99, EAN 9783944587837

Wie vermittelt man Menschen, die keine Erfahrung mit fernöstlichen Übungswegen haben, was Meditation ist, was Qi- gong sein kann, welche Geisteswelt sich im buddhistischen oder daoistischen Denken auftut? Fachbücher, Übungsanleitungen und Ratgeber sind ein weit verbreiteter Weg. Ein anderer könnte fiktionale Literatur sein. Seit Menschengedenken werden historische, philosophische und spirituelle Inhalte über Geschichten vermittelt. Sie erreichen Hirn und Herz der Zuhörenden und Lesenden auf andere Weise als Sachliteratur. Dieser Weg wird noch relativ selten bei uns beschritten. Eine bedeutende Ausnahme ist Ulli Olvedi, die nach einem Standardwerk über stilles Qigong diverse Romane zu diesem Themenkreis geschrieben hat.

In dem kleinen Verlag spiritbooks, der sich zum Ziel gesetzt hat, nur »bedingungslos authentische Texte« über spirituelle Wege zu veröffentlichen, erschien 2012 der Roman »Der leuchtende Schuh« mit dem Untertitel »ein Qigong-Roman«. Autorin Heike Gäßler bereiste als Kulturjournalistin viele Länder Asiens. Der Roman ist, lese ich, »inspiriert von ihrer Liebe zum Qigong und ihrem langjährigen Studium unter der Anleitung verschiedener Qigong- und Tai Chi-Meister«.

Wir werden in die Welt eines spirituellen Qigong entführt, die weit entfernt ist von dem, was wohl in den meisten Qigong-Kursen stattfindet. Im Mittelpunkt des Buches stehen zwei sehr unterschiedliche Schülerinnen eines Qigong- Meisters, der das Oberhaupt einer eng verflochtenen spirituellen Gemeinschaft zu sein scheint, die ganz auf ihn ausgerichtet ist und die er wie ein gütiger, weiser Vater führt. Übungsaufgaben sind Entwicklungsaufgaben und ihr Sinn erschließt sich seinen Schülerinnen nicht immer sofort – Vertrauen zum Meister ist Voraussetzung. Seine Lehren sind offensichtlich stark buddhistisch geprägt, im Laufe des Romans ergibt sich sogar eine Verflechtung mit dem tibetischen Buddhismus.

Damit kommt auch eine aktuelle politische Dimension ins Spiel. Es geht um die Tibet-Politik Chinas und den Versuch, durch Überwachung und politische Genehmigung der erwarteten Reinkarnationen bedeutender tibetischer Geistlicher Kontrolle über den Buddhismus in Tibet auszuüben. Dadurch verwandelt das Buch sich fast in einen politischen Thriller – durchaus spannend.

Zugleich ist es die Geschichte des persönlichen Entwicklungsweges der weiblichen Hauptfigur des Romans. Es nimmt die Leserschaft mit auf eine Reise durch all die Zweifel, den Kampf mit Paradoxien und inneren Widerständen, die auf einem solchen Übungsweg unweigerlich auftauchen – bis sie schließlich in eine umfassendere Klarheit führen können. Die geistige Welt, die sich hier entfaltet, wird für manche Qigong-Praktizierenden im Westen immer noch obskur sein: Hellsichtigkeit, Führung durch Träume, die ganz andere Art, in der solche Lehrer mit ihren SchülerInnen und untereinander kommunizieren und in der sich Lebenswege deshalb auch als »geführt« darstellen. Das alles ist transrational, und nur wer schon ähnliche Erfahrungen gemacht hat, wird damit etwas anfangen können.

Zentrale philosophische und spirituelle Fragen werden berührt: Was ist mein Weg in diesem Leben? Wie finde ich ihn? Was finde ich, wenn ich den eigenen Praxisweg so vertiefe, dass ich zulasse, die gewohnten Kontrollen aufzugeben? Was ist Freiheit? Was ist Bestimmung? Und: Gibt es uns umfassende Strömungen im großen Ganzen, die zu erfüllen unsere Lebensaufgabe sein könnte?

Solche Gedanken anzuregen, indem man eine spannende Geschichte erzählt, halte ich für einen gelungenen Kunstgriff. Wie weit man der dargestellten Sicht der Dinge folgen mag, ist wohl eine ganz persönliche Entscheidung. Darüber hinaus finde ich: Es kann nicht schaden, dass es ab und zu ein Buch gibt, dass vor Augen führt, dass Qigong noch wesentlich mehr sein kann (und offensichtlich immer schon war) als wohltuende Gesundheitsübungen. Der Roman ist auf jeden Fall eine »anregende Lektüre«.