Barbara Hofmann-Huber:
Qigong in der Psychotherapie. Selbstwirksamkeit aus der inneren Mitte
Ernst Reinhardt 2019, 176 S. brosch., € 24,90, ISBN 978-3-497-02888-7
Dass Qigong für unsere psychische Gesundheit ebenso positive Effekte haben kann wie für unsere körperliche, ist fast jeder und jedem klar, die es eine Weile praktiziert haben oder sich mit den Wirkprinzipen des Qigong auskennen. Und während die Krankenkassen es als Entspannungsmethode in der Prävention anerkennen, ist Qigong-Lehrenden nur allzu vertraut, dass Menschen häufig dann zu üben beginnen, wenn »der Schaden« schon eingetreten ist: die chronischen Rückenschmerzen, aber auch Erschöpfung, Schlafstörungen oder das berüchtigte Burn-out im Anmarsch oder schon da sind. Auch in psychosomatischen Kliniken wird Qigong zunehmend als flankierende Therapiemaßnahme eingesetzt. Anerkennung als wirkungsvolle psychotherapeutische Maßnahme hat Qigong aber bisher nicht gefunden.
Diese Lücke scheint Barbara Hofmann-Huber schließen zu wollen. So begrüße ich ihr Buch als das ehrenvolle Unterfangen, die Ziele und Methoden der psychotherapeutischen Arbeit mit den Wirkweisen der Qigong-Praxis zu vergleichen und die Schnittmengen sowie Unterschiede und damit auch die Ergänzungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Allerdings fürchte ich, dass dieses Buch nur für Menschen fruchtbar werden kann, die in beiden Bereichen, Psychologie und Qigong, eine gewisse Vorerfahrung haben, auch wenn die Autorin versucht, beide Perspektiven den Leser*innen zugänglich zu machen. Wobei ich größere Zweifel habe, dass Psychotherapeut*innen, die bisher keinen Kontakt zu Qigong hatten, auf diese Weise »abgeholt« und für die Sache gewonnen werden können. Die Begrifflichkeiten bleiben zu fremd und ohne eigene praktische Erfahrung immer missverständlich.
Hinzu kommt, dass ich der Autorin ein kritischeres und hilfreiches Lektorat gewünscht hätte. Sie ist sprachlich immer wieder in einer Weise ungenau, dass Sätze missverständlich, wenn nicht unsinnig und inhaltlich leer werden. Ein Beispiel aus dem Abschnitt »Bewusstsein auf unterschiedlichen Ebenen«: »In der Praxis des Qigong konzentriert sich die Mitte auf das Dantian«. Dass Konzentration und Aufmerksamkeitslenkung Akte des Bewusstseins sind, weiß auch die Autorin, kein Zweifel. Was fehlt, ist leider die sprachliche Genauigkeit.
Davon ausgehend, dass sich das Buch an therapeutische Fachkolleg*innen richtet, ist ein weiterer Mangel aus meiner Sicht, dass die in die Kapitel eingestreuten Qigong-Übungen äußerst knapp beschrieben sind. Selbst ich kann mit diesen Beschreibungen nur dann etwas anfangen, wenn mir die genannte Übung so oder so ähnlich bekannt ist.
Barbara Hofmann-Huber beschreibt in den ersten Kapiteln zunächst, was Qigong ausmacht, setzt es aber auch gleich in Beziehung zu Begrifflichkeiten, mit denen die Psychotherapie arbeitet. So kommt sie zum Beispiel vom Wirken von Yin und Yang zum Umgang mit widerstreitenden Kräften und zur »Ambiguitätstoleranz«. Dies ist eine wichtige Fähigkeit für unsere psychische Gesundheit, die Patient*innen im therapeutischen Prozess oft erst lernen oder zurückgewinnen müssen: widersprüchliche Gefühle erleben und (aus)halten zu können, da sie nun mal zum Leben in seinen polaren Bezügen dazugehören. Sie spricht auf der körperlichen Ebene das Wechselspiel von Sympathikus und Parasympathikus an, stellt neurobiologische Bezüge her und erläutert Begriffe wie Selbststeuerung, Selbstwirksamkeit und Selbstkultivierung – was sie psychologisch bedeuten und auf welche Weise diese Ressourcen im Qigong angesprochen und gestärkt werden.
Gegen Ende des Buchs fasst sie es so zusammen. »Qigong ist aktive Körperbewegung in geistiger Bewusstheit. Sich der eigenen Lebensenergie bewusst zu sein, diese nähren zu können, sie zu dosieren und in unterschiedlichen sozialen Situationen flexibel auszudrücken, das alles sind Zeichen von selbstwirksamem Verhalten. Darin enthalten sind ein Selbstgefühl, die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz und die Entwicklung von Flexibilität. Die Selbstkultivierung bildet daher den innerpsychischen Boden für die Entwicklung und Aktualisierung von Resilienz.«
Immer wieder betont sie, wie sehr die Schulung, zentriert und in Kontakt mit dem eigenen Körper zu bleiben, die Voraussetzung dafür ist, Ambiguität zu ertragen und auch herausfordernde Situationen zu meistern. Dies erläutert sie auf Patientenseite dann anhand dreier Therapiebereiche: Trauma, Despression und Burn-out. Sie weist auch darauf hin, warum und wie Qigong für Therapeut*innen selbst eine hilfreiche Methode ist, um den Herausforderungen des Berufs gewachsen zu sein.
Ich möchte dies Buch allen empfehlen, die sich die Schnittmenge von Psychotherapie und Qigong genauer anschauen wollen. Auch um nicht zu vergessen: Qigong-Unterricht ist keine Psychotherapie, auch wenn das eine sich sehr gut mit dem anderen verbinden lässt.
(Dietlind Zimmermann)