Jürgen Ryzek:
Taiji-Qigong. Bewegte Stille
Hannover 2009, Pb, 163 Seiten, 14,90 Euro (D)/ 15,40 Euro (A)
ISBN 978-3-89993-579-0
Der erste Eindruck: eine Irritation. Der Begriff Taiji-Qigong wird gängigerweise für die sogenannten 18 Bewegungen verwendet, um die geht es hier aber nicht. Der Autor möchte uns ein neues Übungssystem vorstellen. Er nennt es »Taiji-Qigong« mit dem Untertitel „Bewegte Stille“. Es hat, so verspricht er, seine „Wurzeln in der unverfälschten Tradition und passt diese an die veränderten Bedürfnisse der modernen Lebensform an“. Insbesondere weist er darauf hin, dass „diese spezielle Choreographie in Minuten innerhalb des Aktionsradius eines Bürostuhls ausgeführt werden kann“. Das scheint sinnvoll und kann durchaus nützlich sein.
Zugleich verspricht er, dies neue System sei die Essenz aus Taiji und Qigong. Nun ist er nicht der erste, der aus der Fülle der beiden alten Übungssysteme für sich ein neues kreiert, in der Meinung, die Zusammenfassung enthalte allemal die Essenz. Das mag stimmen oder nicht – ich neige bei solchen Aussagen, in Respekt vor der kaum auszulotenden Fülle des alten Wissen, zu Skepsis.
Die Darstellung der Übungsabfolge nimmt gut 100 Seiten des Buches ein, sorgsam bebildert mit Fotos und Fußdiagrammen. Die Beschreibungen sind so ausführlich wie möglich und ihnen ist viel Detailwissen über den philosophischen Hintergrund (Fünf Wandlungen beispielsweise), die Anwendungsbilder aus der Kampfkunst und die energetischen Dynamiken hinzugefügt worden. Die getroffenen Zuordnungen erschließen sich mir allerdings nicht immer – ich will aber nicht ausschließen, dass dies möglich wäre, wenn man denn treulich über lange Zeit dies System im Üben studiert.
Hier kommen wir allerdings zu dem für mich wirklich kritischen Punkt: Dies Buch ist eindeutig mit der Absicht geschrieben worden, der Leser könne sich ein Übungssystem, das „die Essenz von Taiji und Qigong“ enthält, allein durch die Lektüre dieses Buches im Selbstversuch beibringen.
Über den Autor Jürgen Ryzek ist zu lesen, dass er sich seit 30 Jahren mit „spirituellen und feinstofflich-energetischen Themen“ beschäftigt und auf eine 20-jährige Karriere als Business-Berater zurückschaut. So kann ich biographisch nachvollziehen, dass er vielleicht gerade für ein Klientel in der Geschäftswelt etwas greifbar-kompakt-effektiv wirkendes anbieten wollte. Passend dazu kommt das Buch im Layout möglichst sachlich funktional daher.
Zugleich zeigt der Inhalt seiner Einführungskapitel mit den Titeln „Stille schafft Raum“, „Eine Vision vom Menschen“, „Wege der Wahrnehmung“ und „Gleichgewicht im Wandel“ deutlich, dass er sich sehr ber die Notwendigkeit bewusst darüber ist, den Fokus vom rein intellektuellen und funktionalen Zugriff auf Welt zu verschieben in eine Wahrnehmung des „lebendigen Köpers“, wie er es nennt. Schön und schlüssig leitet er aus der neuen Wahrnehmungsweise dann eine neue Handlungsweise ab, die mit Taiji-Qigong einzuüben sei. Er stellt sie unter die drei Leitsätze: 1. Ich spüre mich, 2. Ich folge dem Rhythmus, 3. Ich ziele genau.
Wie er aber zu der Sicherheit gelangt, dass eine solche Wandlung von einer verkopft-abstrakten zur sinnlich-ganzheitliche Lebenshaltung allein aus einem Buch zu bewerkstelligen sei, das obendrein auch im Layout eher unsinnlich ist, bleibt mir ein Rätsel.
So ist dies Buch ein hübsches Paradox: Es vermittelt mir den Eindruck, dass hinter ihm ein interessanter Lehrer steckt – der von dem Buch nicht ersetzt werden kann. Dies wird besonders deutlich, gerade weil das Buch es behauptet.