TQJ 3/2022

Rezensentin:
Dietlind Zimmermann

Prof. Dr. med. Gerd Schnack, Birgit Schnack-Iorio:
Vagus Meditation. Übungen für den Entspannungsnerv
Trias 2022, CD 49 Min., ca. € 15, ISBN 978-3-432-11599-3

Es ist interessant, wie bestimmte Themen, die in unseren Übungswegen enthalten sind, in den letzten Jahren und Jahrzehnten in die westlich-wissenschaftliche Aufmerksamkeit rücken und dann richtiggehend zum Trendthema werden. So war es beim Thema Achtsamkeit, beim Thema Faszien und seit einiger Zeit ist es der Vagus-Nerv – der sogenannte »Entspannungsnerv«. Dazu heißt es auf der CD-Hülle: »Der Vagus-Nerv ist unser längster Hirnnerv und bestens vernetzt mit allen Organen und Vitalfunktionen, die im Körper für Ruhe sorgen. Ihn mit Medita- tion gezielt zu aktivieren, gilt als neue und erstaunlich effektive Methode, um rasch in eine ungeahnte Tiefenentspannung zu kommen.«

Der 2020 verstorbene Mediziner Professor Gerd Schnack gehörte zu denjenigen, die sich früh für andere als rein technische Zugänge zu Gesundung interessiert haben, und war Pionier in der Erforschung der Bedeutung des Vagus-Nervs. 1987 gründete er mit seiner Frau Birgit Schnack-Iorio das erste Präventionszentrum Deutschlands. Birgit Schnack-Iorio unterrichtet die aus der gemeinsamen Forschung entstandenen Methoden zur Vagus-Meditation seit über zehn Jahren. 2021 erschien bei Trias ein Buch zu diesem Thema und 2022 nun die CD, die Anleitung für alle praktischen Übungen bieten will und in dem Zusammenhang auch eine kurze Einführung in die neurologischen Hintergründe und Zusammenhänge anbietet.

Mich interessierte, wie hier Meditation angeleitet wird und ob sich diese Übungen auch als Ergänzung in unseren Kursen oder bei der eigenen Taijiquan- oder Qigong-Praxis einsetzen lassen – und ob eine solche Ergänzung überhaupt notwendig oder sinnvoll ist.

Das kleine Booklet erläutert, es gäbe »drei Standleitungen zur Aktivierung unseres Ruhe-Nervs. Dies sind
– Der dritte Hirnnerv (der motorische Augennerv, N. oculomotorius)
– Der siebte Hirnnerv (der mimische Gesichtsnerv, N. fascialis)
– Der neunte Hirnnerv (der Zungen-Kehlkopf-Nerv, N. glossopharyngeus).«

Die verschiedenen Übungen sind so konzipiert, dass sie diese Nervenstränge »anschalten«. Dabei sind einige Übungen, die uns vor allem aus der Qigong-Praxis bekannt vorkommen, wie zum Beispiel »Betontes Ausatmen«, aber auch »Kehlkopfvibrationen« (wir denken an die heilenden Laute oder an das Singen von Mantren) oder das »Lachen mit den Augen«, das in der Wirkung unserem »Inneren Lächeln« gleicht. Etwas anders ausgerichtet und interessant fand ich die Übungen »Augenpressur«, bei der tatsächlich eine Weile sanfter Druck auf den Augapfel ausgeübt wird, und »Cinéma interne«, bei der der innere Blick bewusst auf die geschlossenen Augenlider gelenkt wird und auf die Farb- und Punkterscheinungen, die dann auftauchen. Eine weitere, wie ich fand herausfordernde Übung für die Augenmuskulatur, die aber eben auch den entsprechenden Nervenstrang entspannen soll, ist »Doppelbilder sehen« – da musste ich schon ein bisschen üben …

Dann gibt es noch das »Zungenstretching«, das sich durchaus wohltuend anfühlte und schließlich die »Vagus-Ganzkörpervibration«. Klingt ein bisschen wie die uns geläufigen Schüttelübungen, soll aber durch ein rhythmisches Anspannen von Beckenboden- und unterer Rückenmuskulatur hervorgerufen werden. Schließlich kommt noch das »Schnurren und Vokale Tönen«, das eine Erweiterung der Kehlkopfvibration ist, und dann eine Anleitung für »Ihre tägliche Vagus-Meditation«, in der einige dieser Techniken verknüpft werden.

Am Ende gibt es für Menschen mit Ein- und Durchschlafstörungen noch die Übung »Singen Sie sich in den Schlaf«. Zurück zu der Frage, ob diese Übungen und der dahinterstehende Erklärungsansatz für uns nützlich sein könnten, gegebenenfalls eine gute Ergänzung? Ich glaube, dass dieser Ansatz für alle, die innere Widerstände gegen »Esoterisches«, gegen »blumige (bildhafte) Sprache« haben, die Schwelle senken kann, sich für meditative Erfahrungen zu öffnen. Es holt Menschen, die auf »rationaler« Begründung für ihr Tun beharren, um sich einlassen zu können, mit Erklärungen ab, die den Verstand beruhigen – und mit sachlich-pragmatischen Übungen. Dass ein solches Üben sehr tief gehen kann, den ganzen Menschen verändern, damit hält sogar des Ehepaar Schnack/Iorio nicht hinter dem Berg. So heißt es in der Einleitung auf der CD: »Die Vagus-Meditation ist ein neuropsychologisch begründetes Entspannungsverfahren, aber sie ist noch viel mehr als das. Die Vagus-Meditation ist ein Lebensweg, den Sie am besten in Anwesenheit eines Lehrers beschreiten.« Das würden wir für unsere Künste wohl genauso formulieren: Meditatives Üben ist ein Weg, der uns und unser Leben for- men wird, wenn wir ihn beschreiten. Idealerweise tun wir dies angeleitet durch eine kompetente Lehrperson, durch jemanden, der oder die sich auf dem Weg schon gut auskennt.

Dass östliche und westliche, traditionelle und neue Herangehensweisen sich als Methoden der Wegbegleitung immer mehr ergänzen, halte ich für wünschenswert. Diese CD ist ein gutes und nützliches Beispiel für einen westlichen Zugang.