Der neue Leitfaden Prävention ist Ende 2018 erschienen. Welche Anforderungen werden nun an die Ausbildung von AnbieterInnen von Qigong und Taijiquan gestellt?
Der neue Präventionsleitfaden ist von der GKV (Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen) umfassend überarbeitet worden. Für die Anerkennung von Präventionskursen der gesetzlichen Krankenkassen gelten zukünftig folgende neue Anbieterqualifikationen: Ab dem 1.10.2020 müssen Kursleiter 360 Zeitstunden (480 UE) als Zusatzqualifikation im Qigong und/oder im Taijiquan nachweisen.
Der erhöhte Ausbildungsumfang bezieht sich primär auf mehr Grundwissen in westlicher Medizin, Gesundheitsvorsorge, Prävention, Didaktik und Methodik und nicht auf eine stärkere Gewichtung der Qigong-/ Taiji-Praxis. Das bedeutet, dass der erhöhte Ausbildungsumfang nicht einfach durch mehr Qigong-/Taiji-Ausbildungspraxis abgegolten werden kann, sondern tatsächlich in den zuvor beschriebenen Inhalten stattfinden muss. Der neue Präventionsleitfaden orientiert sich unter anderem am Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR), was zu einer Fokussierung auf Fachkompetenzen geführt hat und dem non-formalen Lernen (keine staatlich anerkannte, reglementierte oder überwachte Ausbildung) mehr Raum gibt.
Dies hat die Forderung des Deutschen Dachverbandes für Qigong und Taijiquan (DDQT) und anderer Verbände nach einer Aufhebung des Primärberufes ermöglicht. Entsprechend können ab dem 1.10.2020 auch Personen ohne einen staatlich anerkannten Ausbildungs- oder Studienabschluss eine Anerkennung bei der Zentralen Prüfstelle Prävention (ZPP) erhalten.
Was bedeutet die Neuerung jetzt für eine laufende oder geplante Ausbildung?
Aufgrund einer großzügigen Übergangszeit (1.10.2024) können Interessierte, die bis zum 30.9.2020 eine Ausbildung beginnen, noch unter den alten Anbieterqualifikationen bei der ZPP anerkannt werden. Für Qigong-/Taiji-Lehrende, die bis zum 30.9.2020 bereits bei der ZPP anerkannt sind und weiterhin Kurse zertifizieren lassen, besteht Bestandsschutz.
Was hat sich im Vergleich zum letzten Leitfaden geändert?
Wie bereits erwähnt hat sich der Ausbildungsumfang von 255 Stunden (300 UE) auf 360 Stunden (480 UE) erhöht. Die Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren bleibt weiter bestehen. Die Ausbildungsinhalte erweitern sich im Bereich naturwissenschaftlich-medizinische (anatomisch-physiologische Grundkenntnisse) und medizinische (krankheitsbezogene) Fachkompetenzen, Grundlagen der Prävention und was bei stress-mitinduzierten Krankheitsbildern zu beachten ist, dazu zählen unter anderem chronische Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen, Depressionen, Asthma und Bluthochdruck.
Es können jetzt auch Personen, die keinen formalen staatlichen Abschluss haben, eine Anerkennung erhalten. Die Ersatzregelungen zum Primärberuf bleiben bestehen, so dass weiterhin 200 Zeitstunden Unterrichtserfah- rung nachgewiesen werden müssen.
Was ist für Dich eine Verbesserung bzw. eine Verschlechterung?
Eine Verbesserung ist ganz klar, dass jetzt auch Lehrende ohne formalen Berufsabschluss eine Anerkennung erhalten können. Das Paradox, dass ein Ausbilder, der Jahrzehnte Er- fahrung in den Künsten erlangt hat, nicht bei der ZPP anerkannt wurde, weil ihm ein entsprechender Grundberuf gefehlt hat, seinem Schüler mit entsprechendem Primärberuf aber nach zwei Jahren und 300 UE eine Anerkennung möglich war, ist jetzt glücklicherweise aufgelöst. Ich finde es bedauerlich, dass im Leitfaden nicht mehr Qigong-/Taiji-spezifische Fähigkeiten gefordert werden.
Leider ist zunehmend eine Akademisierung der Lerninhalte zu beobachten, obwohl es in der Arbeit mit Menschen auf solide praktische, pädagogische und soziale Kompetenzen ankommt und weniger auf reine Wissensvermittlung. Wissen zu erhalten ist im Zeitalter des Internets und digitaler Medien kein Problem, aber die Menschen kompetent praktisch anzuleiten und aktiv zur Gesundheitsvorsorge zu motivieren, ist meines Erachtens viel wichtiger.
Welchen Einfluss hatten die Qigong-/Taijiquan-Verbände auf den neuen Leitfaden?
Die Verbände hatten leider keinen direkten Einfluss auf die inhaltliche und formale Gesta tung des neuen Leitfadens. Die gesamte institutionelle und inhaltliche Neustrukturierung der Krankenkassen hatte anfänglich dazu geführt, dass der Informations- und Kommunikationsfluss sehr schleppend war. Mittlerweile besteht ein geregelter Austausch, der sich aber primär auf organisatorische und formale Abläufe bezieht. Über diese Ebene sind Wünsche von Seiten der Verbände platzierbar, aber mehr auch nicht.
Heute ist klar ersichtlich, dass die Krankenkassen auch zukünftig nicht auf die Fachexpertise der Qigong- und Taiji-Verbände zurückgreifen werden. Die Krankenkassen verstehen sich als Institutionen, die die Rahmenbedingungen definieren. Die inhaltliche Ausgestaltung obliegt weiterhin den Fachgesellschaften. Ich persönlich hoffe nur, dass die formalen Rahmenbedingungen offen bleiben und zukünftig nicht ständig enger definiert werden, da dies natürlich auch Auswirkungen auf die inhaltliche Qualität und die Ausrichtung von Qigong und Taiji haben kann.
Was sollte in der nächsten Überarbeitung des Leitfadens noch verbessert werden?
Das finde ich zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu beantworten, da man erst mal sehen muss, wie sich die Neuregelungen in Zukunft auswirken. Bislang gilt noch der alte Leitfaden und viele Fragen und Problemstellungen sind noch nicht bis ins Detail beantwortet. Auch die Krankenkassen befinden sich da noch im Anfangsstadium, genauso wie wir Fachverbände, die gefordert sind, unsere Mitglieder zu informieren und eigene Strukturen zu den neuen Anforderungen zu erarbeiten.
Dr. Christoph Stumpe
ist im Vorstand des Deutschen Dachverbands für Qigong und Taijiquan (DDQT), DDQT-Beauftragter für den Bereich Krankenkassen und ZPP, Leiter des Shen Men Instituts Düsseldorf, Berlin, München für Qigong, Tuina, Akupressur und TCM und TCM-Therapeut (SMI). www.shenmen-institut.de
Der neue Leitfaden als PDF: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/presse/publikationen/Leitfaden_Pravention_2018_barrierefrei.pdf