The Science of Tai Chi & Qigong as Whole-Person Health Conference:
Advancing the Integration of Mind-Body Practices in Contemporary Healthcare
18./19. September 2023 in Boston (USA)

(ungekürzte Version)

Erstmals in der westlichen Welt fand im September eine große Konferenz zur Rolle von Taijiquan und Qigong im Rahmen einer ganzheitlich orientierten Gesundheitsfürsorge statt. Auf Einladung des Osher Center präsentierten Wissenschaftler*innen aus den USA und einigen weiteren Ländern ihre Forschungen und auch Unterrichtende unserer Künste stellten auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtete Ansätze vor. Almut Schmitz war beeindruckt von der Vielfalt der Beiträge und der Klarheit, mit der hier eine ganzheitliche Sicht auf Menschen vertreten wurde.

Zum ersten Mal veranstaltete das Osher Center for Integrative Medicine, das an die medizinische Fakultät der Harvard Universität angebunden ist, eine Konferenz zum aktuellen Stand der Forschung über die gesundheitlichen Wirkungen von Taijiquan und Qigong sowie zu den Möglichkeiten und Hindernissen einer Einbindung dieser „Körper-Geist-Techniken“ in das Gesundheitssystem. Dr. Gloria Yeh und Dr. Peter Wayne, die das Planungskomitee leiteten, erfüllten sich damit nach eigener Aussage einen lange gehegten Wunsch. Beide sind – genauso wie die anderen Mitglieder des Komitees – seit vielen Jahren selbst forschend in diesem Bereich tätig. Das Osher Center ist spezialisiert auf komplementärmedizinische Verfahren und ein Verständnis von Gesundheit, das den gesamten Menschen einbezieht.

Eingeladen waren Wissenschaftler*innen, die selbst zu Taijiquan oder Qigong forschen beziehungsweise entsprechende Forschungen planen, Praktizierende/Lehrende dieser Künste, die sich über die aktuellen Forschungen informieren wollten, als auch Entscheidungsträger*innen aus dem Gesundheitswesen. Etwa 300 Interessierte aus den USA und zwölf weiteren Ländern, insbesondere China, Taiwan, Kanada, Großbritannien und Deutschland, waren der Einladung gefolgt und nutzten diese Gelegenheit auch zum kollegialen Austausch und zum Netzwerken. Viele von ihnen waren selbst mit Beiträgen involviert, die neben Vorträgen auch zahlreiche Posterpräsentationen[i] oder kurze praktische Einführungen in spezielle Themen umfassten.

Die Konferenz begann mit ersten Begegnungen an einem Frühstücksbüfett im Foyer des zum Massachusetts Brigham Hospital gehörenden Markell Conference Center und anschließenden Eröffnungsreden vom Dekan der Harvard Medical School David Golan, Gloria Yeh und Peter Wayne. Um auf das gemeinsame Thema einzustimmen, führte Calvin Chin, einer der Taiji-Lehrer von Peter Wayne, zusammen mit einem Schüler eine kurze Chen-Stil-Sequenz sowie Partnerroutinen vor.

In seiner Einführung in die erste gut zweistündige Plenumsphase unter dem Titel „Whole Person Health: Integration Across Physiological Systems“ wies Peter Wayne darauf hin, dass es seit den 1980er Jahren einen exponentiellen Anstieg von Forschungen im Bereich von Taijiquan und Qigong gibt, inzwischen an die 3000 Studien. Seiner Ansicht nach trägt die Forschung auch zur Weiterentwicklung von Taijiquan bei. So hat die biomedizinische Forschung die klinische Wirksamkeit, die Kosteneffektivität und die Sicherheit von Taijiquan bestätigt und damit einen positiven Einfluss auf die öffentliche Meinung gehabt. Sie hat aber auch psychophysiologische Wirkungsweisen von Taijiquan herausgefunden, die es ermöglichen, die Art der Vermittlung an bestimmte Situationen wie etwa von Schlaganfallpatient*innen anzupassen. Außerdem hat sie dazu beigetragen, eine neue Begrifflichkeit für das Unterrichten beizusteuern wie beispielsweise die innerkörperlichen Verbindungen durch die Faszien oder die Wechselwirkungen zwischen Wahrnehmung und Bewegung.

In Anbetracht der Tatsache, dass die USA unter den reichen Ländern die niedrigste Lebenserwartung haben, erscheinen ihm Maßnahmen zur Förderung des allgemeinen Gesundheitszustands wichtig. Taijiquan könne hier in vielfacher Weise zum Tragen kommen als selbstwirksame Methode, die unter anderem erdet und zentriert und wissenschaftlich bestätigt vorbeugend bei den häufigsten Zivilisationskrankheiten wirksam ist. Sehr beeindruckend waren die klaren Konzepte zu einer den ganzen Menschen im Blick haltenden Gesundheitsfürsorge. So steht im Programm des Osher Center:
„Wir setzen uns für die Förderung eines Gesundheitsmodells ein, das die Zusammenhänge zwischen Körper, Geist und Seele anerkennt, um die Widerstandsfähigkeit zu stärken und die Gesundheit und Heilung des Individuums sowie des sozialen Umfelds und der natürlichen Umgebung, die es unterstützen, zu fördern.“

Vom National Center of Complementary and Integrative Health heißt es:
„Ganzheitliche Gesundheit bedeutet, den ganzen Menschen zu betrachten – nicht nur einzelne Organe oder Körpersysteme. … Es bedeutet, dem Individuum, den Familien, Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen zu helfen und sie zu befähigen, ihre Gesundheit in den vielen miteinander verbundenen biologischen, sozialen und ökologischen Bereichen zu verbessern. Anstatt eine bestimmte Krankheit zu behandeln, konzentriert sich die Gesundheit des ganzen Menschen auf die Wiederherstellung der Gesundheit, die Förderung der Widerstandsfähigkeit und die Prävention von Krankheiten über die gesamte Lebensspanne.“

Anschließend sprach Professorin Helene Langevin, Direktorin des National Center for Complementary and Integrative Health (NCCIH) der National Institutes of Health (NIH), der staatlichen Behörde für Forschung zum biomedizinischen Bereich und zur öffentlichen Gesundheit, über die verschiedenen Arten von Bindegewebe, die einen möglichen Erklärungsrahmen bieten können für die Wirkung von Taijiquan bei chronischen Schmerzen beispielsweise im unteren Rücken. Sie bezeichnete Taijiquan als „aktive Ganzkörper-Faszienmassage“, durch die die Mobilität in verschiedenen Bereichen des Bindegewebes wieder verbessert werden kann, was sich auf den ganzen Organismus auswirkt.

Medizinprofessor Brad Manor, der am Markus Institute for Aging Research forscht, zeigte in seiner Präsentation die Zusammenhänge zwischen Ganggeschwindigkeit und kognitiven Fähigkeiten auf. Auf dieser Grundlage konnte er verdeutlichen, warum Taijiquan die Stabilität im Stand und die Gangsicherheit im Alter verbessern kann sowie die Fähigkeit, beim Gehen gleichzeitig noch etwas anderes zu tun, etwa sich zu unterhalten.

Im dritten Vortrag sprach Ahmed Tawakol, Kardiologe am Massachusetts General Hospital, darüber, wie chronischer Stress zu Entzündungen auch in den Blutgefäßen und dadurch zu Arteriosklerose führt und auf diesem Weg die Gefahr von Herzerkrankungen erhöht. Die stressreduzierende Wirkung von Taijiquan ist an spezifischen Veränderungen in der Gehirnstruktur sowie der Aktivität bestimmter Gehirnfunktionen durch bildgebende Verfahren darstellbar.

Im Anschluss an die Vorträge gab es noch kurz Zeit für Nachfragen. Dabei kam die Frage auf, welche Wirkung Taiji-Training auf Kinder haben kann. Calvin Chin, der intensiv mit Kindern arbeitet, betonte, dass diese durch das Training starke Muster im Körper entwickeln, von denen sie lebenslang profitieren. Bis zum Alter von etwa 40 Jahren ist es seiner Erfahrung nach möglich, eine solche gesundheitsfördernde Struktur aufzubauen.

Während einer 45-minütigen Pause wurde die erste Hälfte der über 60 im Obergeschoss aufgehängten Poster vorgestellt. Die Zeit reichte leider bei Weitem nicht aus, um sich die vielen zu ganz unterschiedlichen Themen erarbeiteten Poster wirklich anzuschauen. Sie sollen jedoch, ebenso wie die mündlich vorgetragenen Zusammenfassungen von Forschungen, demnächst online im Journal of Integrative and Complementary Medicine erscheinen, die Konferenzteilnehmer*innen haben darauf freien Zugriff.

Für die nächste Stunde musste man sich zwischen verschiedenen Angeboten entscheiden. In sogenannten „Experiential Sessions“ hatten drei Unterrichtende beziehungsweise Teams Gelegenheit, ihren speziellen Unterrichtsansatz für bestimmte Personengruppen, hier für Ältere mit kognitiven Einschränkungen, für Menschen mit Depression und für Parkinsonpatient*innen, vorzustellen. Diese kurzen Einheiten, von denen im Laufe der beiden Tage insgesamt vier auf dem Programm standen, waren die einzigen Gelegenheiten für Taiji-, Qigong- und Yoga-Lehrende, sich einzubringen, und für die Kongressteilnehmenden, mal selbst in Bewegung zu kommen.

Parallel dazu stellten Sara Lazar vom Massachusetts General Hospital, Wolf Mehling (University of California) und die Professorin für Sportpsychologie Wei Gao-Xia aus Beijing die interozeptive Sensibilität als Schlüsselfaktor beim Taiji-Üben vor und zeigten wissenschaftliche Erkenntnisse zu den neurologischen Vorgängen, die durch achtsamkeitsbasierte Methoden gefördert werden.

In einem dritten Raum stellten vier Forschungsteams ihre jeweiligen Studien vor. Da mir das zu viele Informationen auf einmal waren, nahm ich an dem vierten Parallelangebot teil, in dem es um die Chancen und Schwierigkeiten von Online-Unterricht ging. Dieses Thema hat sich seit dem Lockdown 2020 stark entwickelt und bietet für bestimmte Personengruppen immer noch eine gute, manchmal die einzige Möglichkeit, an Taiji-Unterricht teilzunehmen. Zunächst ging es darum, wie laufende Forschungen zu Taijiquan für Menschen mit „Gulf War Veterans Illness“ (dieser bei Veteran*innen nach dem Irakkrieg beobachtete Symptomkomplex umfasst starke psychische und körperliche Symptome) und zu Kniearthritis durch den Lockdown umorganisiert und mit Online-Unterricht neu ausgerichtet werden mussten. Insbesondere bei den Studienteilnehmer*innen mit Gulf War Illness war die Teilnahme am Online-Unterricht sehr viel konstanter als beim Präsenzunterricht.

Im zweiten Teil erläuterte Professorin Barbara Niles, die am National Center for PTSD des Departments of Veterans Affairs (VA) und an der Medizinischen Fakultät der Boston University arbeitet, wie aus den Erfahrungen während der Pandemie Online-Taiji-Programme für Veteran*innen entwickelt wurden. Diese haben den Vorteil, dass die Schwierigkeiten, die vor allem Betroffene mit Posttraumatischem Belastungssyndrom damit haben, regelmäßig zu einem externen Kursort zu kommen, umgangen werden und sie außerdem auch für Menschen, die an entlegeneren Orten wohnen, zugänglich sind. Zusätzlich zu den zwei Online-Terminen pro Woche stehen den Teilnehmenden Videos zur Verfügung, die das eigene Üben unterstützen sollen. Sie werden darüber hinaus wöchentlich angerufen und nach ihren Erfahrungen mit dem Unterricht befragt. Für den Fall, dass es im Unterricht zu akuten psychischen Problemen kommt, können die Unterrichtenden Notfallkontakte informieren. Es gibt auch eine technische Unterstützung, die vor allem zu Beginn der Kurse erforderlich ist.

Um den Nachteil, dass es online weniger Gruppeninteraktion gibt, etwas auszugleichen, steht vor und nach dem Unterricht Zeit zum informellen Austausch zur Verfügung. Diese Programme erfordern eine längere Vorbereitung der Kursleitenden, die Rückmeldungen der Teilnehmenden sind positiv. Es werden dazu landesweit Untersuchungen zur Wirksamkeit und zur Akzeptanz dieses Unterrichtsformats durchgeführt. Leider gibt es noch kein Manual zur Durchführung von Online-Unterricht.

Nach der eineinhalbstündigen Mittagspause begann die zweite Plenumszeit zum Stand der Forschung im Bereich von Taijiquan und Qigong. Schwerpunkte waren diesmal die Sturzprävention bei älteren Menschen, die kognitive Gesundheit, neurophysiologische Mechanismen von Taijiquan und Qigong sowie die geistige Gesundheit. Es wurden die neusten Forschungsergebnisse vorgestellt, aber auch auf Lücken in der Forschungslage hingewiesen. Ein wichtiger Bereich, den es weiter auszuloten gilt, ist die „Dosierung“, das heißt welche Art von Übungen in wie langen Unterrichtseinheiten und wie oft für spezifische Personengruppen die besten Ergebnisse zeigen. In der anschließenden Podiumsdiskussion zeigte sich Helen Lavretsky, Professorin für Psychatrie an der University of California in Los Angeles als große Verfechterin von einer frühzeitigen Körper-Geist-Schulung für Kinder. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Wissenschaft wesentliche Aspekte in der Wirkung von Taijiquan/Qigong herausarbeiten kann, aber keine Beweise für die Fähigkeiten von traditionellen Meister*innen.

Das letzte Plenum am Montag war der Einführung von Körper-Geist-Übungswegen in die Gesundheitsfürsorge gewidmet. Dazu ging der Jurist Daniel Seitz zunächst darauf ein, dass eine gewisse Standardisierung von Taiji-/Qigong-Ausbildungen notwendig werden kann, wenn diese als Methoden im Gesundheitssektor anerkannt werden sollen. Die USA stehen in dieser Hinsicht noch ganz am Anfang. Am Beispiel der Veterans Health Administration (VHA), die das größte integrative System im Gesundheitswesen der USA bildet und für mehr als neun Millionen Veteranen zuständig ist, erläuterte Dr. Janet Clark vom Office of Patient Centered Care and Cultural Transformation der VHA, wie Taijiquan und Qigong zur Umgestaltung der medizinischen Versorgung der Veteran*innen beitragen. Diese geht von einem auf Diagnosen und Probleme gerichteten Fokus zu einem ganzheitlichen Ansatz, der die gesamte Lebenssituation der Veteran*innen im Blick hat und diese mit verschiedenen die rein medizinische Versorgung ergänzenden Angeboten begleitet. Ein herausragendes Ergebnis, das sich bereits bei den begleitenden Untersuchungen gezeigt hat, ist, dass bei Veteran*innen mit chronischen Schmerzen, die Angebote zur „Whole Person Health“ nutzten, die Einnahme von Opioiden dreimal so stark zurückging als bei denen, die diese Angebote nicht nutzten. Auch die Bereitschaft, an psychotherapeutischen Angeboten teilzunehmen, war mehr als doppelt so hoch.

Damit war das offizielle Programm des Tages beendet und alle Anwesenden waren eingeladen, bei einem leckeren (und gesunden!) Büfett im dritten Stock des Konferenzzentrums zu informellem Austausch überzugehen. Dieser Bereich war ein ausdrückliches Ziel der Konferenz, er sollte auch einer stärkeren Vernetzung sowohl zwischen den vielen im Bereich von Taijiquan und Qigong Forschenden als auch der Lehrenden verschiedener Schulen und Richtungen dienen. Mir wurde hier bewusst, welches Glück wir in Europa damit haben, dass es seit Jahrzehnten durch die regelmäßigen stilübergreifenden Treffen eine Tradition von gegenseitigem Austausch gibt. Nach meinem Eindruck fehlt das in den USA und die Beziehungen innerhalb der Szene sind viel stärker von Abgrenzung und Konkurrenz geprägt.

Der zweite Konferenztag war wie der erste aus Plenumssitzungen und Blöcken mit Parallelangeboten aufgebaut. Zur Einstimmung sprach Arthur Goodridge, ein weiterer Lehrer von Peter Wayne, und führte zu selbst komponierter Musik eine kurze Bagua-Sequenz sowie zusammen mit Peter einige Bewegungsanwendungen vor. Er sagte, dass wir, damit wir mit Taijiquan oder Ähnlichem wirklich gesund werden können, verstehen müssen, dass wir bedingungslose Liebe, Wohlergehen und Gesundheit verdient haben, einfach weil wir da sind. Dass wir willkommen sind. Es sei besonders wichtig, dies auch Kindern zu vermitteln.

Das folgende Plenum gehörte für mich zu den Highlights der Konferenz, über die hier präsentierten Vorträge hatte es wohl auch im Organisationsteam die meisten Diskussionen gegeben. Unter dem Titel „Explorations in Body Intelligence: Examples from Western and East Asian Medicine“ ging es um die Grenzbereiche zwischen traditionellen Konzepten wie „Qi“ und neusten Erkenntnissen aus der Biophysik und der Entwicklungsbiologie. Biologieprofessor Michael Levin vom Allen Discovery Center der Tufts University, der per Onlinekonferenz zugeschaltet war, sprach über innerkörperliche Informationswege besonders in Bezug auf Heilung und Regeneration nach Verletzungen. Sein Augenmerk galt dabei bioelektrischen Signalen als Medium für eine Art „Schwarmintelligenz“ von Zellen. Über entsprechende Signale konnte im Labor eine erstaunliche Selbstheilung von Organismen angeregt werden. Die Forschung in diesem Bereich könnte zu einem ganz neuen Zweig von medizinischer Behandlung führen

Auch im Vortrag von Dr. Andrew Ahn vom Osher Center ging es um bioelektrische Impulse, deren Rolle er in Bezug auf die Wirkungsmechanismen von Akupunktur nachgegangen ist. Er zeigte Aufnahmen einer Untersuchung, bei der es mithilfe bestimmter fluoreszierender Farbstoffe möglich war, eine innerkörperliche Reaktion auf die Nadelung von Akupunkturpunkten darzustellen. Der zuvor an der entsprechenden Stelle injizierte Farbstoff breitete sich als Reaktion auf die Nadelung entlang des zugehörigen Meridianverlaufs aus. Damit zeigte sich eine Reaktion, die nicht über das Nervensystem erklärt werden kann und vermutlich auf ein elektrokinetisches Informationssystem im Körper hinweist.

„Qi or not to Qi“ war das Motto von Peter Waynes Vortrag, in dem er seine Erfahrungen als Forscher, als Übender und als Taiji-Lehrer mit dem Konzept „Qi“ vorstellte sowie Bereiche, in denen die biomedizinische Forschung dazu beigetragen hat, die Bedeutung von Qi zu verdeutlichen. Er verwies allerdings auch auf Forschungsgebiete, wie beispielsweise das Phänomen von Biofeldern, wo es aufgrund von methodischen Schwierigkeiten noch wenig Fortschritt gibt.

Nach diesen äußerst beeindruckenden Beiträgen gab es eine dreiviertelstündige Pause, in der die zweite Hälfte der Poster vorgestellt wurde. Die anschließende Stunde bot wieder vier parallellaufende Optionen, darunter eine praktische Einheit mit zwei Mitmachangeboten, eine Präsentation von Forschungsabstracts und eine Einführung für Taiji-/Qigong-Lehrende in die Mitarbeit an wissenschaftlichen Studien. Da ich schnell feststellen konnte, dass es hier um die deutlich andere Situation in den USA ging, wechselte ich zum vierten Angebot, bei dem an verschiedenen Instituten Lehrende von ihren Erfahrungen mit Qigong im Unterricht von jungen Erwachsenen berichteten. Ziele des Einsatzes von Qigong waren hier eine Verbesserung des Wohlbefindens und des Gesundheitszustands der Studierenden sowie eine Förderung der sozialen Gerechtigkeit. Die Beiträge machten deutlich, dass die Bereiche von höherer Bildung und sozialer Gerechtigkeit sinnvolle Einsatzfelder von Körper-Geist-Praktiken sind.

Nach der frühen Lunchpause folgten zwei weitere Stunden mit Parallelangeboten. In der ersten nahm ich an den Mitmachangeboten teil und konnte feststellen, dass diese eine sehr weite qualitative Bandbreite aufwiesen. Besonders gut gefallen hat mir die kurze Einheit von Josie Weaver und Linda Larkey, die der Frage nachgingen, ob es beim Taiji- oder Qigong-Üben in einer Gruppe zu einer kollektiven Entspannungsreaktion kommt. Während sie den Hintergrund dieser Frage erläuterten, führten sie die Gruppe gleichzeitig in einen sehr schönen, entspannten und synchronisierten Zustand, der bereits in sich die Frage beantwortete. Verpasst habe ich währenddessen eine Präsentation zum Einsatz von Taijiquan und Qigong in unterschiedlichen ethnischen Gruppen sowie eine Podiumsdiskussion zu möglichen landesweiten Zertifizierungsrichtlinien für Taiji-/Qigong-Unterrichtende

Während der zweiten Stunde hatte das Team um Professor Johannes Michalak von der Universität Witten-Herdecke Gelegenheit, seine Forschungen zum Einsatz von Qigong in der Behandlung von depressiven Symptomen vorzustellen. Johannes Michalak berichtete zunächst von den vorausgegangenen Studien, die unter anderem eine deutliche Verbindung zwischen Gangmuster und depressiven Symptomen gezeigt hatten und ebenso einen Zusammenhang mit dem Zustand der Faszien. Tobias Puntke, der den Qigong-Unterricht für die Studienteilnehmer*innen leitet, zeigte die nach oben öffnende Bewegung, die eine stimmungsaufhellende Wirkung zeigte, sowie die nach unten schließende Bewegung mit der entgegengesetzten Wirkung.

Parallel dazu gab es weitere kurze Unterrichtseinblicke sowie eine Podiumsdiskussion zur Rolle von Frauen im Taijiquan, die nach Erklärungen suchte, warum in den USA nur 15 Prozent der Unterrichtenden Frauen sind.

Zum Schluss stand dann noch eine letzte Plenumsrunde auf dem Programm, bei der der aktuelle Stand der Forschung zu Taijiquan und Qigong in Bezug auf eine den ganzen Menschen einbeziehende Gesundheitsfürsorge zusammengefasst wurde. Dr. Michael Irwin, Professor für Psychiatrie und Psychologie an der University of California in Los Angeles, behandelte die Wirkung von Taijiquan auf das Immunsystem, Professor Byeongsang Oh von der University of Sydney fasste den Stand der Forschung zu Taijiquan bei Krebserkrankungen beziehungsweise in der Nachsorge von Menschen, die eine Krebserkrankung überlebt haben, zusammen.

Das Spezialgebiet von Professorin Chenchen Wang ist der Umgang mit chronischen Schmerzen beispielsweise bei Arthritis in den Knien; dieser Bereich ist in den USA sehr problematisch, da ein sehr große Anzahl von Schmerzpatient*innen in eine Opioid-Abhängigkeit gerät. Ob die vielversprechenden bisherigen Forschungsergebnisse zum Einsatz von Taijiquan und Qigong sich auch in größeren und vielfältigen Bevölkerungsgruppen bestätigen lassen, soll in den kommenden Jahren eine groß angelegte Studie in vier Regionen und vier unterschiedlichen US-amerikanischen Gesundheitsversorgungssystemen zeigen.

Gloria Yeh gab einen Überblick über die neusten Erkenntnisse zum Einsatz von Taiji/Qigong bei Herz-Kreislauferkrankungen und bei Erkrankungen der Atemwege. Dabei wies sie auch darauf hin, dass die Wirkung dieser Methoden sich nicht auf messbare körperliche Veränderungen wie etwa eine Verringerung des Blutdrucks beschränkt, sondern die ganze Lebenssituation der Betroffenen verbessern kann.

Abschließend fassten Gloria Yeh und Peter Wayne die Themen der Konferenz noch einmal zusammen und zeigten die Bereiche, in denen weitere Studien wünschenswert erscheinen. Dazu gehören auch die Prävention, die Einbeziehung unterschiedlicher Alters- und Bevölkerungsgruppen, Fragen nach sinnvoller Art von Intervention und molekularbiologische Untersuchungen. Es bleibt also noch viel zu tun und bei der nächsten derartigen Veranstaltung wird es sicher weitere spannende Erkenntnisse geben.

Etwas problematisch erschien mir, dass fast die ganze Zeit Taijiquan und Qigong quasi gleichgesetzt wurden. Auch wenn wahrscheinlich das, was im Rahmen von Forschungen an Taijiquan unterrichtet wird, weitgehend als Qigong bezeichnet werden kann – typischerweise erfolgen Messungen über einen Zeitraum von zwölf Wochen, in denen ein- oder zweimal wöchentlich Unterricht stattfindet –, scheint es mir sinnvoll, genauer zu definieren, welche Methode eingesetzt wird. Und dazu bedarf es nicht nur der Unterscheidung von Qigong und Taijiquan, sondern auch der jeweiligen Richtung.

Ich fand es auch schade, dass kaum etwas über in China durchgeführte Studien bekannt wurde. Da scheint mir noch großes Potenzial zu kollegialem Austausch brachzuliegen. Ansonsten war das Programm ungeheuer dicht und vielfältig, es hätte gerne auch über drei Tage verteilt sein können. Dann hätte es auch noch mehr Gelegenheit zum Kennenlernen gegeben. Trotzdem war die Stimmung durchweg sehr gut und entspannt, es war spürbar, dass der überwiegende Teil der Anwesenden sich in Qigong oder Taijiquan übt.

Es war schön zu sehen, in welchem Ausmaß es hier eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vielfältigen Wirkungen von Taijiquan und Qigong gibt und auch im weiteren Sinn mit einer ganzheitlichen Gesundheitsfürsorge, die alle Seiten des menschlichen Lebens einbezieht. Insgesamt hat die Konferenz ihr Ziel erreicht, die aktuelle Forschungslage einem weiteren Kreis von Menschen bekannt zu machen, den kollegialen Austausch zu fördern und die Einführung von Taijiquan und Qigong in der Gesundheitsversorgung voranzubringen.

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[i] Bei Posterpräsentationen werden Forschungsprojekte oder auch andere Themen mit ihren Kernaussagen zusammenfassend auf einem großen Poster möglichst plakativ dargestellt. Die Poster können auch als Grundlage für eine mündliche Präsentation dienen, hier standen die Autor*innen der Poster für Fragen bereit.

 

 

TQJ 4/2023
November 2023 – Januar 2024

Fotografin: Jennifer Scott